Die Einwohnerschaft unserer Stadt war im Mittelalter nicht homogen,
sondern rechtlich, wirtschaftlich und sozial stark gegliedert. Die
politische und ökonomische Spitze der Bürgerschaft bildeten
die in der Kaufgilde zusammengeschlossenen Groß- und
Fernhändler.
Symbolhaft für diese prominente Position war,
dass die Kaufgilde während des gesamten Mittelalters ihren Sitz im
Rathaus hatte, das in den zeitgenössischen Quellen daher meist
auch "kophus" (Kaufhaus) heißt.
Der Ausbau und die Vergrößerung des Rathauses hing im
übrigen ebenfalls aufs engste mit dem wirtschaftlichen und
politischen Aufstieg der Stadt zusammen. Ausgehend von dem um 1270
entstandenen bescheidenen Vorgängerbau errichtete man ab 1369 in
mehreren Schritten das heutige Gebäude, ohne dass der
ursprüngliche Bauplan vollständig durchgeführt werden
konnte. Zu den ältesten Teilen dieses Baues zählt die alte
Ratsstube, der einzige beheizbare Raum (daher die Bezeichnung Dorntze =
beheizbarer Raum), in dem auch lange Zeit das städtische Archiv
untergebracht war.
Die heutige Gestalt des Rathauses und vor allem
seine innere Ausstattung sind entscheidend durch die historistischen
Ausgestaltung geprägt, die zwischen 1883 und 1903 durch den
Hannoveraner Künstler Hermann Schaper erfolgte. Hier in der Halle
erinnert der Wappenfries an die Mitgliedschaft Göttingens in der
Hanse, wobei diese romantische Verherrlichung späterer Jahrhunderte
im Widerspruch steht zu der tatsächlich eher lockeren Verbindung
Göttingens zur Hanse. Neben der Verklärung einer angeblich
ruhmreichen Vergangenheit schuf Schaper auch humoristische Szenen.
An der Nordwand der Rathaushalle - beziehungsreich über der
Tür zur damaligen Kämmerei - ist dargestellt, wie ein eher
schmächtiger städtische Kämmerer einen
wohlgenährten Bürger mit den Worten "Kinder, bringet
juwe tinse, bolde bolde!" ("Kinder zahlt eure Steuern,
schnell, schnell!") zur Steuerzahlung mahnt.
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