Chronik für das Jahr 1919

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2. März 1919

Wahlen zum Bürgervorsteher-Kollegium der Stadt Göttingen:

Sozialdemokraten(Liste Bode)15 Sitze5.217 Stimmen
Deutschdemokraten(Liste Föge)6 Sitze2.303 Stimmen
Dtsch. Volkspartei(Liste Schmidt)10 Sitze3.603 Stimmen
Dtsch. Hann. Partei(Liste Lambach)7 Sitze2.766 Stimmen
Dtschnat. Volkspartei(Liste Susebach)4 Sitze1.577 Stimmen
Unabhängige(Liste Kargl)0 Sitze270 Stimmen
= 15.736 Stimmen

5. März 1919

Vormittags 11 Uhr von den Gewerkschaften veranstaltete Demonstration vor dem Rathause, 4 - 5.000 Personen beiderlei Geschlechts aus allen Arbeiterkreisen. Eine Abordnung von 5 Mann stellt an den Magistrat folgende Forderung:

  1. Gerechte Lebensmittelverteilung seitens der Regierung durch die Stadt,
  2. Sonderbelieferung für Kliniken,
  3. Schärfste und gerechte Erfassung der Kartoffel-Vorräte,
  4. Keine Ausfuhr von Lebensmitteln aus Stadt und Kreis,
  5. Schärfste Maßnahmen gegen den Schleichhandel,
  6. Durchführung der sozialen Reformen: a) 48-Stunden-Woche, b) Durchführung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe, c) Einrichtung von Angestellten-Ausschüssen,
  7. Eine Erklärung von allen Beamten, daß sie sich voll und ganz auf den Boden der Demokratie stellen oder von ihren Ämtern zurücktreten.
  8. Zurücknahme der Kündigung des Genossen Brüller, eines zunächst in der Kämmerei, später in der Steuerkasse beschäftigten Angestellten,
  9. Keine Entlassung oder Aussperrung der Demonstranten.

Nachdem Oberbürgermeister Calsow beruhigende Worte an die Menge gerichtet hatte, begann diese, sich nach dem Landratsamt in Bewegung zu setzen. Plötzlich aber drangen etwa 40 Personen in das Rathaus ein, nachdem sie die vor dem Haupteingang aufgestellten Sicherungsmannschaften der 82er überwältigt und die verriegelte äußere Rathaustür eingedrückt hatten. Die Eindringlinge bedrohten den Senator Jenner in seinem Amtszimmer, zerrten ihn auf die Rathausrampe und zwangen ihn zu einer Ansprache, die aber bei dem allgemeinen Lärm unverständlich blieb. - An das Landratsamt wurden ähnliche Forderungen wie an den Magistrat gestellt, und nachdem auch der Landrat, Geheimrat Mannkopf, bedroht und mißhandelt war, zog die Menge vor das "Tageblatt" und zwang die Redaktion und den Verlag zu einer Erklärung über die künftig zu beobachtende Schreibweise des Blattes.

8. März 1919

In der Aula der Personnschule, wo bis auf weiteres auch die gemeinschaftlichen Sitzungen abgehalten werden, bei Anwesenheit des Oberbürgermeisters Dr. Calsow Wahl des Büros des Bürgervorsteher-Kollegiums. Da der erste Wahlgang Gleichheit der Stimmen - je 21 - für Bürgervorsteher Reibstein, den bisherigen Wortführer, und Bürgervorsteher Föge ergibt, entscheidet das Los für Ersteren, worauf durch Zustimmung Bürgervorsteher Friedrich Wedemeyer zum ersten, Bürgervorsteher Föge zum zweiten Stellvertreter des Wortführers, zu Schriftführern die Bürgervorsteher Honig und Frau Henny Lehmann gewählt werden.

12. März 1919

Die drei seit dem 28. November vorigen Jahres auf dem Rathaus wehenden Fahnen werden eingezogen.

16. März 1919

Zur Bekämpfung spartakistischer Umtriebe wird beim Bezirkskommando ein Werbeamt für das "Freikorps Hülsen" eingerichtet. In der alten Kaserne ist eine "Kompanie Hoßbach" untergebracht. Pionierbataillion 15, zur Zeit in Hedemünden, wirbt durch Zeitungsaufrufe Freiwillige, ebenso die Trainabteilung 10 in Hannover und verschiedene andere Formationen.

Das Gefangenenlager wird zu einem Durchgangs- (Quarantäne-) Lager eingerichtet, es sollen nach und nach in Staffeln von je etwa 6000 Mann 42 Mann untergebracht werden.

21. März 1919

Zum Eintritt in die "Bürgerwehr", zu deren Bildung Anfang des Monats aufgerufen wurde, haben sich bis heute 1000 Mann gemeldet.

24. März 1919

Die Stadt im Flaggenschmuck zum Empfang von 2000 Feldgrauen aus den amerikanischen Gefangenenlagern in Frankreich.

25. März 1919

In der heutigen ersten öffentlichen gemeinschaftlichen Sitzung der städtischen Kollegien nach der Neuwahl werden zur Gewährung von "Überteuerungszuschüssen" bei Wohnbauten einstimmig zunächst 250.000 Mark aus der Anleihe für Kriegsbedürfnisse bewilligt, wovon dem Spar- und Bauverein für 8 an der Liebrechtstraße zu erbauende Häuser 113.250 Mark zufließen sollen.

31. März 1919

Aus dem Arbeiterrat scheidet der bisherige Vorsitzende Friedrich Wedemeyer aus. In dem neugewählten Rat übernimmt Hugo Schoop (Gewerkschaften) den Vorsitz, zweiter Vorsitzender wird Rud. Küchemann (bürgerlich), erster Schriftführer August Bauer (Gewerkschaften), zweiter Schriftführer Carl Closterhalfen (bürgerlich). Den Aktionsausschuß bilden:

  1. Schoop, Vorsitz und Allgemeines,
  2. F. Arnholdt (unabhängig) Kommunalangelegenheiten, Mieteinigungsamt,
  3. P. Hildebrandt (Gewerkschaften) kommunale Wirtschaftsangelegenheiten, Arbeitersachen, Kriegsfürsorge, Presse,
  4. F. Heinrich (unabhängig) kommunale Angelegenheiten des Landkreises, Siedlungswesen, Kontrolle des Landratsamtes,
  5. H. Schirmer (Landwirt) Kreiswirtschaftsamt, Milch- und Fettversorgung,
  6. J. Schneider (Gewerkschaften) Eisenbahnfragen, Verkehrswesen, Fahrtausweisabfertigung,
  7. W. Brandes (Gewerkschaften) Polizeiwesen, Kasse, Bürodienst,
  8. A. Rabenhold (Gewerkschaften) Viehenteignung,
  9. Th. Prüfert (Eisenbahner) Hilfsarbeiter für sämtliche Ressorts.
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