Quellen

Die Quellenlage zum Thema Widerstand und Selbstbehauptung von 1933 bis 1945 ist für Göttingen überraschend gut.

Verfolgungsorgane: Polizei

An erster Stelle, was den Umfang anbelangt, stehen die Quellen der Verfolgungsorgane wie Polizei, Gerichte und Gliederungen der NSDAP. Hier sind es vor allem die Kreisleitung bzw. ihr Nachrichtendienst, die häufig auf die Einleitungen von Ermittlungen gegenüber Regimegegnern drangen bzw. ihre eigenen Ergebnisse der Polizei zur Verfügung stellten.

Die Akten des Stadtarchivs Göttingen sind umfänglich für den betreffenden Zeitraum erhalten. Die Akten der Polizeidirektion Göttingen geben zuverlässig Auskunft über den Prozess von Repression und Verfolgung in der Anfangsphase des Regimes. Diese reichen, z.B. bei den Themen Beobachtung politischer Versammlungen oder Kommunistische Partei, bis in die Weimarer Republik zurück. Die Verhaftungswellen gegen die KPD-Angehörigen im Frühjahr 1933 lassen sich damit genauso gut nachvollziehen, wie erste Widerstandsaktionen des Jahres und deren Verfolgung. Dies gilt ebenso für die schrittweise Entrechtung über die Anwendung der zentralen Verordnungen vom 4.2.1933 und 28.2.1933 bis zur Beschlagnahmung und Enteignung der Vermögen und Liegenschaften von KPD, SPD, ISK und Gewerkschaften.

Die Akten des Kreisarchivs Göttingen bieten mit ihrem Bestand zur Schutzhaft eine wichtige Quelle zur Verfolgungsgeschichte in der Region. Vor allem über die beiden Bände Schutzhaft und politische Polizei Hann. Münden lassen sich die Maßnahmen der Ortspolizei Hann. Münden und des Landrats in der Repressionsphase 1933 nachvollziehen.

Mit der Einrichtung der Staatspolizeistelle Hannover im Mai 1933 verlor die Ortspolizei sukzessive an „Verfolgungskompetenz“ und geriet zunehmend in die Abhängigkeit dieser Institution. Anfang März 1934 verloren die Kreis- und Ortspolizeistellen in Preußen zudem das Recht auf Verhängung von Schutzhaft. Dies lag nun ausschließlich beim Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) in Berlin sowie den Ober- und Regierungspräsidenten und den örtlichen Staatspolizeistellen (in Göttingen erst ab Juni 1936 eingerichtet). Diese Verschiebung von Kompetenzen bedingt auch ein Auslaufen der Spuren von organisiertem Widerstand in den Akten des Stadt- und des Kreisarchivs ab 1934, für Göttingen gilt dies vor allem für die Aktionen von KPD und ISK.

Die Aktionen und Strategien der Selbstbehauptung der Zeugen Jehovas und der Bekennenden Kirche sind in den wichtigsten Grundzügen der Verfolgung beider Glaubensrichtungen in den Akten der Göttinger Polizeidirektion bis zum Ende der 1930er Jahre nachvollziehbar. Das Thema Bekennende Kirche findet sich ebenso in den Akten des Kreisarchivs unter Kirchliche Angelegenheiten. An der Theologischen Fakultät der Georgia Augusta sind zu diesem Thema die Akten Theologische Fakultät, Kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik besonders im 3. Reich, verschiedene Disziplinarangelegenheiten sowie die einschlägigen Personalakten des Göttinger Universitätsarchivs von Bedeutung.

Über den Zeitraum 1933/34 hinaus lassen sich in den Akten der Ortspolizei Göttingen die eher unorganisierten Akte der Selbstbehauptung verfolgen, die unter der Maßgabe der „Verächtlichmachung der Reichsregierung“ (Widerspruchsgeist) geahndet wurden.



Verfolgungsorgane: Justiz und Strafvollzug

An der Stelle, an der die Überlieferung der städtischen Organe versiegt, tritt die der Justiz an deren Platz. Das Hauptstaatsarchiv Hannover (Niedersächsisches Landesarchiv Hannover) überliefert die Gefangenenpersonalakten der Strafgefängnisse Hameln und Celle sowie des Strafgefängnisses und des Gerichtsgefängnisses Hannover. Diese sind von zentraler Bedeutung als Quellen für den organisierten Widerstand der KPD (und in Teilen auch den des ISK), deren verurteilte Mitglieder und Anhänger hauptsächlich im Strafgefängnis Hameln einsaßen. Die Gefangenenpersonalakten enthalten häufig die zugrundeliegenden Urteile und ermöglichen so eine Rekonstruktion der Geschehnisse. Zudem versammeln sie Informationen zu den einzelnen Häftlingen, die die städtischen Quellen nicht enthalten.

Die o.g. unorganisierten Akte der Selbstbehauptung wurden vor dem Sondergericht Hannover verhandelt, dessen Akten teilweise im Hauptstaatsarchiv lagern. Die Akten der Sondergerichtsprozesse betreffen Verurteilung wegen Heimtücke (Widerspruchsgeist) und Hören von Feindsendern (Radiovergehen) und ermöglichen einen Einblick in nichtkonformes individuelles Verhalten unter der nationalsozialistischen Diktatur, das empfindliche Strafen nach sich zog.

Ein weiterer wichtiger Bestand des Hauptstaatsarchivs Hannover enthält die Akten der NSDAP-Kreisleitung. Die politischen Beurteilungen sowie die Meldungen bzw. Denunziationen (Beispiele nicht parteigenehmen Verhaltens) aus den inzwischen eingemeindeten Ortsteilen (z.B. Geismar, Weende, Grone) komplettieren den Eindruck der Beurteilung und Ahndung nichtkonformen Verhaltens durch NSDAP-Organe.



Überlieferung aus dem Widerstand

Das Archiv der sozialen Demokratie / Friedrich-Ebert-Stiftung überliefert die Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung. Zu den beiden international ausgerichteten Widerstandsgruppen in Göttingen, dem illegalen Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands (EdED) und dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) lagern dort wichtige Akten, wie die Berichte an den ISK-Bundesvorstand und die Korrespondenz bis 1945. Die Organisations- und Widerstandsgeschichte des ISK (in der Geschichte des Widerstands allerdings eher nicht direkt Göttingen betreffend) ergänzt die Göttinger Akten des Stadtarchivs zur Verfolgungsgeschichte. Zu den Aktionen des Eisenbahner-Widerstands geben die Akten der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) Aufschluss. Beide Organisationen arbeiteten eng zusammen.

Zu dieser Quellengruppe gehören zudem die Entschädigungsakten aus dem Bestand des Archivs der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes–Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BDA) Niedersachsen e.V. in Hannover. Sie enthalten wichtige Informationen zu Prozessen und Haftzeiten, vor allem aber solche zu gesundheitlichen Folgen und anderen Konsequenzen der Verfolgung.

Eine wichtige Quellengruppe sei zum Schluss genannt, die Zeitzeugeninterviews. Über 70 Jahre nach Kriegsende müssen wir uns dabei auf unsere Vorgänger verlassen. Die für Göttingen wichtigsten Quellen dieser Art verdanken sich den Arbeiten von Ulrich Popplow in der Mitte der 1970er Jahre, die im Stadtarchiv aufbewahrt werden. Seine Befragungen und Interviews vieler Zeitzeugen sowie seine Aufzeichnungen zu einzelnen Personen sind eine unverzichtbare Quelle. Ergänzt wird dies von Befragungen und Aufzeichnungen, die in den 1980er Jahren zum Thema Politische Arbeitergeschichte von der Gruppe um Joachim Bons festgehalten wurden. Daneben kann man für die Familie des Kommunisten Karl Meyer auf die Erinnerungen von Karin Rohrig1 zurückgreifen, für Heinrich Düker liegt ein Gespräch mit Reinhard Tausch vor, das Dükers Erinnerungen an die Zeit des Widerstands gegen die NS-Diktatur dokumentiert.2



Aussagekraft

Der Gehalt der Quellen aus dem Bereich der Verfolgungsorgane der nationalsozialistischen Diktatur als Beitrag für eine Rekonstruktion der Geschehnisse ist problematisch. Ihre Aussagekraft wird wesentlich durch die Zielrichtung bestimmt – die Ausschaltung „linker“, wie auch immer gearteter, Äußerungen und Verhaltensformen. So ist die Subsumierung des größten Teils des abweichenden Verhaltens in der Anfangsphase der NS-Diktatur unter dem Etikett „kommunistisch“ oder „KPD-nah“ darauf zurückzuführen, dass die Verfolgungsorgane, hier vor allem die Polizei, teils den bereits vertrauten Pfaden der Verfolgung und Überwachung politisch links stehender Kräfte in der Weimarer Republik folgte, teils sich schnell dem Vokabular des neuen Regimes anschloss.

Die Aussagekraft wird zudem von je verschiedenen Intentionen der Inhaftierten bestimmt. In den Verhören von Polizei und Staatsanwaltschaft stand für den Einzelnen vor allem die Sorge um das eigene Wohl im Vordergrund. Für die Kommunisten galt zudem das Diktum von Brecht:

Wer für den Kommunismus kämpft
Der muss kämpfen können und nicht kämpfen
Die Wahrheit sagen und die Wahrheit nicht sagen
Versprechen halten und Versprechen nicht halten
kenntlich sein und unkenntlich sein (...)
3

Eine Aussageverweigerung unter den Bedingungen der Folter ist kaum durchzuhalten. Darum machten einige Widerständler von der Möglichkeit Gebrauch, nicht zu Leugnendes zuzugeben und involvierte Personen so gut wie möglich zu schützen. Ein gutes Beispiel dafür liefern die Vernehmungen im Vorfeld des ISK-Prozesses 1936. (ISK-Prozess) So konnten im besten Fall politische Ratio und Überlegungen zur Schadensbegrenzung das Aussageverhalten der Inhaftierten bestimmen. Anderen Inhaftierten gelang dies angesichts der Übermacht und des Terrors nicht. So schreibt Willi Eichler in einem Bericht vom März 1937: Von hier aus ist eine Reihe schwerster Unfälle zu melden. C.B. und H.P. aus Ernststadt (Hamburg) sind von einer geradezu hemmungslosen Aussagesucht befallen, der eine ganze Reihe von Verhaftungen folgte(n).4

Auf die Problematik der Zeitzeugeninterviews in Hinsicht auf Subjektivität dieser Erinnerungszeugnisse sei hier zumindest hingewiesen (z.B. Alexander von Plato5). Für die Arbeit zu Widerstand und Selbstbehauptung ist aber gerade diese Subjektivität von einiger Bedeutung, da sie z.B. mit Informationen über Bekanntschaftskreise aufwarten kann. Zudem sind diese Zeugnisse geeignet, das Bild der Widerstandsaktionen im Spiegel der Urteile zu korrigieren. Dies ist für Göttingen vor allem für die Widerstandstätigkeit des ISK von einiger Wichtigkeit.



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Literatur und Quellen

Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946): Korrespondenz 1937. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000031.

Plato, Alexander von (2000): Zeitzeugen und die historische Zunft. Erinnerung, kommunikative Tradierung und kollektives Gedächtnis in der qualitativen Geschichtswissenschaft – ein Problemaufriss. In: BIOS 13 (1), S. 5–29.
Online verfügbar unter http://www.gedaechtnis-der-nation.de/bilden/wissenschaft/sidebar/01/downloads/02/link/vonPlato.pdf, zuletzt geprüft am 20.04.2016.

Rohrig, Karin (2015): Erinnerungen an die Familie / Widerstand und Selbstbehauptung im Nationalsozialismus. Erzählcafé Göttingen. Verein für freie Altenarbeit. Goldgraben 14, 06.05.2015.

Tausch, Reinhard (1983): „Für die Freiheit kann man schon was riskieren“. Heinrich Düker im Gespräch mit Reinhard Tausch. In: Psychologie heute 10. Jg. (Nr. 9), S. 48–51.



1Rohrig, Karin (2015): Erinnerungen an die Familie / Widerstand und Selbstbehauptung im Nationalsozialismus. Erzählcafé Göttingen. Verein für freie Altenarbeit. Goldgraben 14, 06.05.2015.

2Tausch, Reinhard (1983): „Für die Freiheit kann man schon was riskieren“. Heinrich Düker im Gespräch mit Reinhard Tausch. In: Psychologie heute Jg.10 (Nr. 9), S. 48–51.

3Bertold Brecht, Die Maßnahme, 1930. Das Zitat aus Brechts Lehrstück deutet auf einen extremen politischen Utilitarismus hin, der aber in der Situation der politischen Verfolgung durch die nationalsozialistische Diktatur einiges an Schärfe verliert.

4Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946), S. 1, 26.3.1937, Eichler Bericht.

5Plato 2000, S. 7.

Rainer Driever