Göttingen 1933
1933 war der Anschaffungspreis für einen Volksempfänger mit 76 RM (eine Reichsmark entsprach ungefähr 4 Euro), auch für einen durchschnittlichen Arbeiter eine beachtliche Investition. Also hörte man gemeinsam bei Freunden oder in Gaststätten. Für die Zeit nach 1933 erinnert sich ein Mündener Zeitzeuge: Ganze Familien kamen abends zusammen. Der eine hat nun ein Radio besessen. Da kamen sieben, acht Männer rein bei meinem Vater oder beim Nachbarn. „Guck mal, ob keiner da ist, schließ mal die Haustür ab und laß uns mal Nachrichten hören.“ Hockten sie mit sieben, acht Männern vorm Radio und ham' Nachrichten gehört.1 Auch der Göttinger August Stapel, Sympathisant des ISK und Mitglied im Freidenkerverband, erinnert sich an das verbotene Radiohören. Im Gespräch über das Gehörte war es zentral wichtig, sich seines Nachbarn sicher zu sein: Ich hörte auch jeden Abend heimlich unter der Decke andere Sender. Wenn Fliegeralarm war, blieb ich oben, und meine Frau saß im Keller. Wir sprachen immer in Gruppen von vier bis fünf Mann. Kam jedoch ein Fremder dazu, wechselten wir das Thema.2
Ende
Mai 1933 wurde das Telefunken-Radiogerät
von Adolf
Reinecke
im Papendiek beschlagnahmt. Als Grund wurde angegeben, dass Reinecke
den Moskauer
Sender
abgehört und die Nachrichten unter seinen Arbeitskollegen
verbreitet habe. Das Radio wurde am 14.11.1933 an Frieda Reinecke
zurückgegeben.3
In den folgenden Jahren wurde Reinecke dreimal wegen illegalen
Radiohörens und Verbreitens der Nachrichten von ausländischen
Sendern verurteilt. Er war ab dem 29. Mai 1935 mit einer kurzen
Unterbrechung zum Jahreswechsel 1936/37 bis zum Kriegsende in
verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert.
(Adolf
Reinecke)
Im
Oktober 1933 berichtete die Ortpolizei von ihren verstärkten
Kontrollen an den Regierungspräsidenten:
In
der Berichtzeit haben wir wiederholt in den festgestellten
Sendezeiten der ausländischen Sender Kontrollen und
Ueberholungen bei verdächtigen KPD.- Leuten und sonstigen
verdächtigen Personen im hiesigen Stadtgebiet durchgeführt.
Ueberführungen waren jedoch bislang noch nicht möglich und
es werden die in Verdacht stehenden Personen künftig weiterhin
scharf beobachtet.4
Eine Woche später wurde hinzugefügt, dass unvermutete
Kontrollen bei verdächtigen Rundfunkhörern, insbesondere in
Gastwirtschaften, hinsichtlich des Empfanges von propagandistischen
Sendungen ausländischer Funkstationen durchgeführt
wurden. Zudem wurde Anfang November 1933 auch ein Sendegerät
beschlagnahmt, das durch die Kontrollen der Amateurfunker anscheinend
bislang noch nicht erfasst worden war. Das Gerät wurde bei dem
Volontär
Hartmann
in der Schillerstrasse beschlagnahmt und gegen Hartmann ein Verfahren
eröffnet.5
1934 und später
Diese
Kontrollen wurden fortgesetzt. Sie richteten sich vor allem gegen
ehemalige KPD-Anhänger. Im Mai 1934 hatte sich der Verdacht
gegen einzelne kommunistische Personen,
die in Privatwohnungen zusammenkommen sollen
zwar bestätigt, jedoch konnten
die Hörer bislang noch nicht überführt werden. Bis
Oktober 1934 wurde Neues nicht ermittelt. Allerdings wurde der
Kaufmann Walter Schriever
in der Schillerstraße wiederholt kontrolliert. Die Polizei
richtete ihr Augenmerk in der Folgezeit auf verschiedene
frühere kommunistische Personen im Maschmühlenweg
(...),
die in dem Verdacht stehen, den Moskauer Rundfunksender bei
Zusammenkünften einzuschalten.
Wiederum konnten strafbare Handlungen nicht festgestellt werden. Die
wenig fruchtbaren Ermittlungen und Kontrollen resultierten aus dem
schwer nachweisbaren Delikt. Bei der nötigen Umsicht ist ein
Hören von Auslandssendern kaum nachweisbar.
Denunziationen konnten da Abhilfe schaffen. Mitte Januar 1935 wurde der Göttinger Polizei vertraulich bekannt, daß der Arbeiter Willi Meseke aus der Johannisstraße des Öfteren gezielt Kommunisten besuche, um Nachrichten des Moskauer Senders anzuhören. Trotz verstärkter Überwachung konnte Meseke aber nicht überführt werden.6
Zusätzlich zu Radio Beromünster und dem Sender Radio Moskau konnte Anfang des Jahres 1935 in den Kreisen Alfeld und Göttingen (wahrscheinlich nur für kurze Zeit) ein Kurzwellensenders der Schwarzen Front (Otto Strasser) empfangen werden.7
Im
Prozess gegen die Nörten-Hardenberger KPD-Zelle wurde am 8.
April 1936 das Urteil des Strafsenats des Oberlandesgerichts Kassel
verkündet. Mitangeklagt war Anna
Oehme
(Anna
Oehme)aus
Reyershausen, die seit dem 24. Januar in Untersuchungshaft
saß. Sie wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Für
das Urteil nicht
besonders relevant, wurde in der Urteilsbegründung dennoch auf
das Hören von Radio
Moskau
verwiesen. Festgehalten wurde dort, dass Oehme im
Jahre 1934 den Moskauer Sender wiederholt abgehört hat,
vermutlich sogar unter Hinzuziehung dritter Personen, denn anders ist
ihre Bemerkung nicht zu verstehen "wir haben immer dann Moskau
gehört, wenn mein Mann Nachtschicht hatte“. (...)
Die
Angeklagte hat sich bei diesen Gelegenheiten auch Notizen über
die von dem Sender verbreiteten Nachrichten gemacht; eine
befriedigende Erklärung hat sie dafür nicht abgeben können.
Inwieweit diese Hetznotizen, die offensichtlich zur Verbreitung
bestimmt waren, von ihr auch verbreitet worden sind, hat nicht
zweifelsfrei festgestellt werden können.8
Dasselbe Vergehen wurde auch ihrem Mitangeklagten Kochheim zur Last
gelegt.
(Urteil 8.4.1936 PDF)
Am
15. Mai 1936 wurden der Händler Ernst
Lagerhausen
und die Arbeiter Karl
Wettig,
Wilhelm
Schneider
und Richard
Schöler
aus der Richthofenstraße verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen,
gemeinsam Radio
Moskau
gehört zu haben. Die Radios von Lagershausen und Wettig wurden
beschlagnahmt und die Vier in das Gerichtsgefängnis überführt.9
Am Tag nach der Verhaftung saß von diesen vier Personen
mindestens noch Wilhelm Schneider im Polizeigefängnis. Dieser
unterhielt sich über das Oberlicht seiner Zelle mit einem
Malerlehrling, der am Haus Paulinerstraße 17 arbeitete. Diesen
bat er, seiner Frau auszurichten, doch bitte ihren Mann zu besuchen.
Etwas später gelang es dem Lehrling noch, Meyer Streichhölzer
hinüberzuwerfen, die
er im unteren geöffneten Teil des Fensters der Haftzelle
auffing.10
Die Stapo-Stelle Hildesheim meldete am 2. Februar 1937 den Ortspolizeistellen, dass seit Dezember 1936 vermehrt Anmeldungen von Rundfunkgeräten aus Arbeiterkreisen erfolgt seien. Es bestehe der Verdacht, dass die Beschaffung und Anmeldung der Radioapparate von diesen Personen nur deshalb erfolgt ist, um die ausländischen Sender - insbesondere den Moskausender - abhören zu können. Eine Überprüfung bei den Postämtern und die Feststellung von involvierten Personen wurden deshalb angeordnet.11
Der Lagerarbeiter Hermann Warnecke wurde am 5.2.1937 von der Gestapo festgenommen und zunächst im Gerichtsgefängnis Göttingen, dann in der Untersuchungshaftanstalt Kassel inhaftiert. Am 2.7.1937 wurde er durch den Strafsenat des Oberlandesgerichts Kassel wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt, die er bis 8.8.1938 in der Untersuchungshaftanstalt Kassel und dem Strafgefängnis Wolfenbüttel verbüßt hat. Seine Tochter stellte 1955 einen Entschädigungsantrag für die Haft ihres am 1.2.1941 verstorbenen Vaters. Gerichtsunterlagen existierten anscheinend nicht mehr und so wurde der Fall nach eidlichen Zeugenaussagen bewertet. Dabei stellte sich heraus, dass die Verurteilung wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens mit einiger Wahrscheinlichkeit wegen Hörens von Radio Moskau erfolgte. Für die politische Gegnerschaft Warneckes zum Nationalsozialismus sagten Gustav Funke, Gustav Weiß, Karl Meyer und Friedrich Vogt aus und gaben an, dass Warnecke aus einer inneren Einstellung heraus den „Moskauer Sender“ häufig mit dem Zeugen (Fritz) Schaper abgehört hat.12 Hermann Warnecke starb am 2.1.1941, nachdem er plötzlich auf der Herzberger Landstraße zusammengebrochen war.13
Auch
im Prozess gegen die Göttinger Kommunisten um Luise
und Karl Meyer
spielte das Hören von Radio
Moskau
eine wichtige Rolle. In der Anklageschrift vom 3. August 1937 wurde
unter anderen Beweismitteln auch der beschlagnahmte Radioapparat von
August
Pläp
aufgeführt. Als wesentliches
Ergebnis der Ermittlungen wurde unter anderem die Abhaltung
verbotener Zusammenkünfte‚ zu denen auch die sogenannten
"Hörergemeinschaften" rechnen, d.h. die Zusammenkünfte
zum Zwecke gemeinschaftlichen Abhörens des Moskauer
Rundfunksenders angeführt.
Die Angeklagten seien alle langjährige
tätige Kommunisten.
Heinrich
Führding, August Pläp, Karl Meyer, Gustav Kuhn, Nikolaus
Oberecken
und August
Brauch
hörten regelmäßig
die deutschsprachigen
Übertragungen
aus Moskau und besprachen jedesmal das Gehörte, insbesondere
besprachen
sie auf der Grundlage ihrer kommunistischen Einstellung den
Kommunismus und den Nationalsozialismus.14
Im Folgenden werden in der Anklageschrift die Aktivitäten und
die politische Vergangenheit der Angeklagten minutiös beleuchtet
und die Verbindungslinien (wer besucht wen, wann, zu welchem Zweck)
zwischen ihnen dargestellt. Die Anklage liest sich wie ein „Who‘s
who“ der Göttinger KPD. Im Zusammenhang mit Radio
Moskau
tauchen noch Frieda
und Adolf Reinecke,
August
Strasen,
Theodor
Gassmann,
Else
Siegel,
Anna
Ohme
und Luise
Kuhn
auf. Luise
Meyer
wird dabei vor allem der Mitarbeit beim Neuaufbau der KPD in
Göttingen beschuldigt, die Teilnahme am „Hörerkreis“
taucht bei ihr nicht auf. (Urteil
14.9.1937 PDF)
Radiovergehen im Krieg
Nach Kriegsausbruch wurden die Strafen für das Hören der nun sog. „Feindsender“ wesentlich härter bestraft. Am 17. November 1939 erging das Urteil des Sondergerichts für den Oberlandesgerichtsbezirk Celle gegen drei Göttinger: den Maler Karl Ilse, den Radiomonteur Helmut Bergmann und den Polsterer Karl Teuteberg. Sie wurden wegen Vergehen gegen §§ 1,2 der Verordnung vom 1. September 1939 und § 1 des Heimtückegesetzes verurteilt. Die Verurteilungen wegen Hörens von Auslandssendern konnten immer dann von einer begleitenden Verurteilung nach dem Heimtückegesetz ergänzt werden, wenn das Gehörte Anderen gegenüber erwähnt wurde. Teuteberg wurde zu 2 Jahren und 3 Monaten, Bergmann zu 1 Jahr und Ilse zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt.15 (Urteil Ilse, Bergmann und Teuteberg 17.11.1939 PDF)
Am 27. Januar 1940 wurde der Göttinger August Linne von der Stapo-Stelle Hildesheim in das Göttinger Gerichtsgefängnis eingeliefert.16 Nach seiner Überführung in das Strafgefängnis Hannover fand der Prozess vor dem Sondergericht Hannover am 24. April statt. Linne wurde nach § 1 der Rundfunkverordnung zu einem Jahr Haft, also der gesetzlichen Mindeststrafe, verurteilt. Das 10 bis 12-malige Hören der BBC wurde im Urteil aufgewogen gegen seine Mitgliedschaften in NS-Organisationen, sein Einsatz als Kriegsfreiwilliger mit EK I und II sowie der fehlenden staatsfeindliche Einstellung.17 Am 22. Mai wurde Linne in das Strafgefängnis Hameln überführt, aus dem er am 26. Januar 1941 entlassen wurde.18
Aus
dem Kreis der Radiohörer, d.h. aus dem Kreis der Volksgenossen,
konnte man durchaus auch herausfallen. Paul
Mink
aus der Bürgerstraße hatte sich bereits im November
1933 in einem Schreiben an den Deutschlandsender um ein Radio
beworben. Aus der sog. Dr.
Goebbels-Spende
wurden anlässlich des Geburtstages des Reichsministers
für Volksaufklärung und Propaganda
Rundfunkgeräte an bedürftige Volksgenossen ausgeteilt.
Diese wurden natürlich zuvor beurteilt und an dieser Beurteilung
durch die Kreisleitung scheiterte Minks Vorhaben 1933. Im November
1940 wiederholte Mink seine Bitte und scheiterte erneut - trotz
seiner fortschreitenden Erblindung - an der Kreisleitung.19
Am 20.3.1941 wurde der Göttinger Wachmann Max Rietz verhaftet und im Gerichtsgefängnis in Untersuchungshaft genommen. Vier Monate später, am 1.8.1941, wurde er vom Sondergericht Hannover zu drei Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust wegen Abhörens feindlicher Sender verurteilt. Die hohe Strafe erklärt sich aus einer Verurteilung nach den §§ 1 und 2 der Rundfunkverordnung.20 (Max Rietz)
Geahndet
bzw. überhaupt verfolgt werden konnte das Delikt, wie bereits
erwähnt, oft nur durch tätige Mithilfe der Volksgenossen.
Am 31.1.1942 erschien eine Bewohnerin des Kirchwegs auf der
Polizeiwache und denunzierte eine Mitbewohnerin der Straße
wegen Anhörens englischer Nachrichten. Die so Angeschuldigte
sollte BBC so laut gehört haben, dass der Sender auf der Straße
noch gut zu hören gewesen sei.21
Ab Mitte 1941 wurde von den Blockwarten an den Drehknöpfen der Rundfunkgeräte Karten befestigt: Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet. Denke daran!22
Am
30. Oktober 1942 wurde Bernhard
Tuczynski,
der beim Reichsarbeitsdienst diente, in seiner Einheit in Russland
vorläufig festgenommen und zurück nach Deutschland
transportiert. Dort wurde er am 1.12.1942 der Geheimen
Staatspolizei
übergeben und ab dem 30.12.1942 in Untersuchungshaft genommen.
Sein Vater, Felix
Tuczynski,
wurde am 11.12.1942 verhaftet. Beiden wurde das Hören der
BBC-Nachrichten vorgeworfen. Am 12. März 1943 wurden sie
deswegen zu 1 ½ Jahren Gefängnis bzw. 2 Jahren Zuchthaus
verurteilt. In der Urteilsbegründung wurde den beiden gläubigen
Katholiken eine Verstärkung ihrer, durch ihre Religion bereits
vorausgesetzte, Staatsfeindlichkeit durch die Informationen der
Feindsender
unterstellt. Felix Tuczynski starb in der Haft. 23
(Felix
und Bernhard Tuczynski)
Einen Monat später stand der Göttinger Arbeiter Fritz Apenberg vor dem Sondergericht Hannover. Er war angeklagt des fortgesetzten Abhörens des Londoner Senders und wegen Verbreitens einer ausländischen Rundfunksendung. Das Urteil des Sondergerichts am 19.4.1943 lautete auf 4 Jahre Zuchthaus und 4 Jahre Ehrverlust. Das Urteil fiel schwer aus, da Apenberg es drei niederländischen Zwangsarbeitern ermöglicht hatte, die BBC-Nachrichten in niederländischer Sprache zu hören. Auch Apenberg starb in der Haft.24 (Fritz Apenberg)
Im
April 1944 denunzierte Helene Beck ihren ehemaligen Verlobten Karl
Kleinkauf
beim Kreisleiter. Sie bat um absolute Diskretion, übertrieb aber
wahrscheinlich, als sie angab, sonst ihres Lebens
nicht mehr sicher
zu sein. Sie beschuldigte Kleinkauf, immer wieder einen
ausländischen Sender zu hören. Das
Gehörte bespräche er dann im sogenannten Kreise seiner
engsten Kameraden. Auch sollte er den
gefangenen Russen auf seiner Arbeitsstätte Kartoffeln im Tausch
für Räucherwaren
gegeben haben.25
Karl Kleinkauf wohnte in der Holtenser Landstraße und arbeitete
im Reichsbahnausbesserungswerk.26
Am 27.2.1945 wurde er wegen Hörens von Feindsendern
zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt.27
(Karl
Kleinkauf)
Am 13.11.1945 wurde beim SD Außenposten Göttingen der 50jährige Franzose Roger Meslier denunziert. Meslier kam aus Algier und war im Lager Albani-Kirchhof untergebracht. Er arbeitete bei der Firma Feinprüf (Mahr). Meslier wurde beschuldigt Feindsendungen abhören.28 Der Vorgang wurde an die Stapo-Außendienststelle abgegeben, die Meslier für den nächsten Tag vorlud.
Meslier
gab in seiner Vernehmung an, diese Sendungen bei seinem Landsmann
Bouquet gehört zu haben. Der 44 Jahre alte Edmund
Bouqué
war Koch und arbeitete
im Hotel zur
Krone29
Als ungefähre Zahl gab er 50 Besuche an. Weiter führte
er aus: Meistens
handelte es sich um militärische Meldungen, wonach die Engländer
und Amerikaner weiter vorrückten und die Deutschen an
verschiedenen Stellen geschlagen wurden. Auch wurde gesagt, dass der
Krieg für Deutschland verloren wäre und ein baldiges
Kriegsende bevorstehe.
Meslier gab im Laufe der Vernehmung zu, diese Nachrichten an seine
französischen Kameraden im Lager weitergegeben zu haben.
Bouqué wurde von der Polizei noch am selben Tag (14.11.) in seiner Wohnung aufgesucht und um 14.55 Uhr dabei angetroffen, wie er feindliche Nachrichten abhörte. Bouqué konnte somit auf frischer Tat überführt werden.30 Noch Ende November wurde von der Stapo-Leitstelle Hannover Strafantrag gestellt und die Sache der Staatsanwaltschaft übergeben. Meslier und Bouqué saßen inzwischen im Gerichtsgefängnis Göttingen.31 Beide wurden als Untersuchungshäftlinge am 20.12.1944 nach Hameln transportiert, von dort im März nach Hildesheim, wahrscheinlich in Vorbereitung des Prozesses. Dieser fand nicht mehr statt, Meslier und Bouquè wurden am 6.4.1945 in Hildesheim entlassen.32
Am 12.11.1945 schrieb Captain H.T. Colman an den Göttinger Oberbürgermeister. Seiner Großmutter K. Colman, die früher im Nikolausbergerweg 28 wohnte, war ihr Radioapparat von der Gestapo beschlagnahmt worden. In seinem Schreiben bat er um Rückgabe des Apparats oder die Bereitstellung eines ähnlichen Geräts. Die Stadtverwaltung verwies auf eine zu erwartende gesetzliche Regelung solcher Ansprüche.33
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Quellen und Literatur
Boguslawski, Gerd-Uwe, Bons, Joachim et al. (1993): "Allein bist Du nichts …": Bilder, Berichte und Dokumente zur Sozialgeschichte der Metallgewerkschaft in Südniedersachsen. Göttingen: Verl. Die Werkstatt.
Dienstanweisung betr. das Polizeigefängnis sowie Einrichtung des letzteren: Stadthaus, Polizeigefängnis. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 25, Nr. 4.
Entschädigungsakte Warnecke, Helga: VVN Warnecke. Archiv des VVN-BdA Niedersachsen e.V., Fach 27, Nr. 247.
Gefangenenkarteikarte August Linne: Karteikarte Linne. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Karteikarte Nr. 40/29.
Gefangenenpersonalakte August Linne: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 3640.
Gefangenenpersonalakte Felix Tuczynski: Zuchthaus Celle. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 4477.
Gefangenenpersonalakte Karl Ilse: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 3591.
Gefangenenpersonalakte Max Rietz: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 4007.
Gefangenenpersonalakte Wilhelm Franke: Gerichtsgefängnis Hannover. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86a Hannover Acc. 2000/057 Nr. 239.
Interview August Stapel (21.01.1977). Stadtarchiv Göttingen, Dep. 77 I Nr. 90 (Popplow-Box).
KPD - Generalakten der kommunistischen Partei. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 155, Nr. 1.
KPD Göttingen - Beschlagnahme und Einziehung des kommunistischen Vermögens. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 31a, Nr. 11.
Mlynek, Klaus (1986): Gestapo Hannover meldet--. Polizei- und Regierungsberichte für das mittlere und südliche Niedersachsen zwischen 1933 und 1937. Hildesheim: A. Lax (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXIX, Niedersachsen 1933-1945, Bd. 1).
Nachlass des Arbeiters Karl Meyer, Göttingen: politische Haft. Stadtarchiv Göttingen, Kleine Erwerbungen Nr. 76.
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Rosenbaum, Heidi (2014): "Und trotzdem war's 'ne schöne Zeit". Kinderalltag im Nationalsozialismus. Frankfurt a.M.
Schutz des deutschen Volkes (Schutzhaft): Schutzhaft, Haussuchungen, Notverordnungen. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 31a, Nr. 1, Bd. 2.
Sondergerichtssachen Fritz Apenberg Göttingen. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 171a Hannover Acc. 107/83 Nr. 354.
Sondergerichtssachen Karl Kleinkauf Göttingen. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 171a Hannover Acc. 197/83 Nr. 1032.
Sondergerichtssachen Meslier und Bouqué. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 171a Hannover Acc. 107/83 Nr. 1135.
Stadtverwaltung und Militärregierung: Film AB 306. Stadtarchiv Göttingen, Stadtverwaltung und Militärregierung A 6.
Verächtlichmachung der Reichsregierung. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 31a, Nr. 8.
1Boguslawski, Gerd-Uwe, Bons, Joachim et al. 1993, S. 153–154, 1933/34 - Interviews mit zwei Zeitzeugen "Widerstand in Münden", Michalski.
2Interview August Stapel 21.01.1977, S. 11, Alu-Werke, Zwangsarbeiter, Radio.
3KPD Göttingen - Beschlagnahme und Einziehung des kommunistischen Vermögens, S. 164, Formblatt Beschlagnahmung Radiogerät Reinecke, 29.5.1933.
4KPD - Generalakten der kommunistischen Partei, S. 499, Ortspolizei an Reg.Präs. Hildesheim, Moskauer Sender, 28.10.1933.
5Ebenda, S. 495, Bericht Ippensen, Kontrolle von Rundfunkgeräten, 7.11.1933.
6KPD - Generalakten der kommunistischen Partei, S. 496-496v, Bericht Ippensen, Kontrolle von Rundfunkgeräten, 14.5.1934.
7Mlynek 1986, S. 296, Lagebericht der Staatspolizeistelle Hannover an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat Januar 1935 / 5. Februar 1935, Nds. HStAH: Hann. 180 Hannover Nr. 805, f. 1-9.
8Gefangenenpersonalakte Wilhelm Franke, S. o.pag. 24, 8.4.1936 Urteil des Strafsenats des Oberlandesgerichts Kassel gegen Franke u.a., Urteil S. 14.
9KPD - Generalakten der kommunistischen Partei, S. 501, Ortspolizei Bericht, Moskauer Sender, 6.2.1936.
10Dienstanweisung betr. das Polizeigefängnis sowie Einrichtung des letzteren, S. 162, Kontakt zu Gefangenen über Paulinerstraße 17 am 16. Mai 1936, Vernehmung des Malerlehrlings Heinrich Meyer.
11Schutz des deutschen Volkes (Schutzhaft), S. 135, Stapo-Stelle Hildesheim, Rundfunkanmeldung, 2. Februar 1937.
12Entschädigungsakte Warnecke, S. 1–3, 5.4.1955 Reg.Präs. Hildesheim - Teilbescheid Entschädigungssache Helga Warnecke.
13Ebenda, S. 4, 27.10.1949 - Stellungnahme von Dr. med. Schellenberg zum Tod von Hermann Warnecke.
14Nachlass des Arbeiters Karl Meyer, Göttingen, S. 1 / 04–5.
15Gefangenenpersonalakte Karl Ilse, S. 29–30, 17.11.1939 Urteil des Sondergerichts für den Oberlandesgerichtsbezirk Celle - Ilse, Teuteberg und Bergmann.
16Gefangenenpersonalakte August Linne, S. 46, 27.1.1940 - Stapo-Stelle Hildesheim an Gerichtsgefängnis Göttingen - Einlieferung Linne.
17Ebenda, S. 15, 24.4.1940 - Urteil Linne.
18Gefangenenkarteikarte August Linne, S. 1.
19Politische Beurteilung verschiedener Angelegenheiten und Personen, Buchstaben L-N, Bd. 3, S. 134, 29.11.1940 Kreisleitung an Gauhauptstelle für Rundfunk - Paul Mink.
20Gefangenenpersonalakte Max Rietz, S. 7, 29.8.1941 - Oberstaatsanwalt als Leiter der Anklagebehörde bei dem Sondergericht Hannover an Zuchthaus Hameln– Strafsache Rietz.
21Verächtlichmachung der Reichsregierung, S. 454, 31.1.1942 Denunziation einer Bewohnerin Kirchweg 4 wegen Anhörens englischer Nachrichten durch Frau Schwertfeger, Kirchweg 28.
22https://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_%C3%BCber_au%C3%9Ferordentliche_Rundfunkma%C3%9Fnahmen#cite_note-7
23Gefangenenpersonalakte Felix Tuczynski.
24Sondergerichtssachen Fritz Apenberg Göttingen, S. 1, 19.4.1943 - Urteil Sondergericht Abt.I für den Oberlandesgerichtsbezirk Celle – Apenberg.
25Sondergerichtssachen Karl Kleinkauf Göttingen, S. 1–3, April 1944 - Brief Helene Beck an Kreisleiter Denunziation Kleinkauf.
26Ebenda, S. 4, 27.4.1944 Kreisleitung an Außendienststelle Göttingen – Kleinkauf.
27Ebenda, S. 20, 27.2.1945 Urteil gegen Kleinkauf.
28Sondergerichtssachen Meslier und Bouqué, S. 2, 13.11.1944 Inspekteur der SiPo u.d. S.D. Braunschweig Kommando 3 Außenposten Göttingen an Stapo-Leitstelle Hannover, Außendienststelle Göttingen.
29Ebenda, Strafregisterauszug.
30Ebenda, S. 3–5, 14.11.1944, Stapo Außendienststelle Göttingen Vorführung Roger Meslier.
31Ebenda, S. 13, Oberstaatsanwalt Göttingen.
32Ebenda, S. 17, Oberstaatsanwalt Göttingen an Oberstaatsanwalt als Leiter der Anklagebehörde des Sondergerichts Hannover.
33Stadtverwaltung und Militärregierung A 6, S. 109, 12.11.1945 - Capt. Colman an OB - Beschlagnahmung des Radios seiner Großmutter K. Colman, früher Nikolausbergerweg 28, durch die Gestapo.
Rainer Driever