Max Rietz
gehörte ab 1921 dem Jungdeutschen Orden an und wurde 1923 Mitglied der NSDAP. 1929 trat er wegen einer Meinungsverschiedenheit mit dem örtlichen Führer aus der Partei aus.
Rietz
wurde am 29.5.1890 in Hemeln geboren. Zusammen mit seiner Ehefrau
Elfriede geb. Hercht, hatte er 3 Kinder zwischen 14 und 18
Jahren.1
Rietz
besuchte die Oberrealschule und absolvierte ein Volontariat bei einer
Zeitungsredaktion. 1911 ging er als Journalist nach Mexiko, kehrte
aber 1914 als Kriegsfreiwilliger wieder nach Deutschland zurück.
1915 erkrankte er an Lungentuberkulose. Bei Kriegsende trat er in ein
Freikorps ein und diente danach in der Reichswehr. 1920 wurde er als
Unteroffizier entlassen. Sein Geld verdiente Rietz im Anschluss bei
der Reichsbank in Göttingen und war zudem bis 1924 Gasthörer
an der Universität. Dann erfolgte ein gesundheitlicher
Zusammenbruch und Rietz zog sich nach Hemeln zurück, wo er von
Bienenzucht und seiner Kriegsinvalidenrente lebte. Ab 1938 arbeitete
er als Wachmann in Göttingen. Die Familie wohnte in der
Gronerstraße.2
Rietz wurde am 20.3.1940 in Göttingen verhaftet und als Untersuchungshäftling in das Gerichtsgefängnis gebracht. Vom Sondergericht Hannover wurde er am 1.8.1940 zu drei Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt.3
In
seiner Urteilsbegründung ist zu lesen: Rietz ist im
Besitz von zwei Rundfunkgeräten. (Er
hat bei der)
Vernehmung zugegeben, seit Beginn des Krieges bis in die letzte Zeit
hinein wiederholt englische, französische, spanische, dänische,
schwedische und italienische Sender gehört zu haben, jedoch nur,
um sich in seinen Sprachkenntnissen weiterzubilden. Meistens habe er
die englischen Sendungen in englischer Sprache vom Londoner oder
einem schottischen Sender eingestellt, manchmal allerdings auch den
deutschsprachigen Nachrichtendienst. (…)
weiter gab der Angeklagte zu, gelegentlich auszugsweise seinen
Familienangehörigen, den Freunden seines Sohnes und seinen
Arbeitskameraden (davon)
erzählt
zu haben. (…) In der Hauptverhandlung (betonte
Rietz, er)
habe das Verbot, aber nicht die strengen Strafen für seine
Übertretung gekannt. (Der)
Zeuge berichtet von den fast täglichen Berichten des Angeklagten
über das Gehörte. (…)
Der Zeuge hatte hierbei den Eindruck, dass sich der Angeklagte, so
oft er von den Erfolgen der Engländer gehört hatte, darüber
freute, und machte anschließend von seinen Beobachtungen seinen
Eltern Mitteilung, die ihm daraufhin das Haus des Angeklagten
verboten.
(Rietz
ist deshalb)
wegen fortgesetzten Verbrechens sowohl nach § 1, wie nach §
2 der Rundfunkverordnung zu verurteilen. Er hat bis zu seiner
Verhaftung am 20. März 1940
nahezu täglich ausländische Sender abgehört und oft
die Nachrichten englischer Sender, die ihrem Zwecke nach darauf
berechnet und daher auch dazu geeignet sind, die Widerstandskraft des
deutschen Volkes zu gefährden, durch Weitererzählen an
andere vorsätzlich verbreitet. (Damit)
gerade Jugendliche ihren zersetzenden Wirkungen auszusetzen, (kam
erschwerend hinzu).
(…)
Durch
sein unverantwortliches Treiben hat der Angeklagte der feindlichen
Zersetzungspropaganda Vorschub geleistet und war daher nach Art eines
Volksverräters durch die Aberkennung der bürgerlichen
Ehrenrechte auf Dauer von 5 Jahren zu brandmarken. Untersuchungshaft
wird nicht angerechnet.4
Am 29. August 1941 wurde sein Transport in das Strafgefängnis Hameln veranlasst,5 er wurde dort am 10.9.1941 als Häftling aufgenommen.6 Bereits im September wurde er dort aktiv. Er schrieb an seine Frau, sie solle den Göttinger Rechtsanwalt Föge kontaktieren. Dieser sollte ihn in Hameln besuchen, damit das Gnadengesuch möglichst bald gemacht und an höhere Stellen gesandt werden könne.7 Diese Bemühungen verliefen anscheinend erfolglos, sodass sich Rietz im März 1942 an den Göttinger Rechtsanwalt Gerdes mit der Bitte um Übernahme seiner Sache wandte. Er benutzte in seinem Brief gegenüber dem Rechtsanwalt eine betont kämpferisch-antibolschewistische Diktion, was bei seiner politischen Vergangenheit nicht unbedingt als Taktik zu bewerten ist.8
Seine Versuche, sich eher als Opfer zu gerieren, waren nicht besonders erfolgreich. Im Mai 1942 schrieb der Anstaltsleiter in seinem Gnadengutachten zwar, dass Rietz sich (…) der Hausordnung entsprechend geführt habe. Er führte dann weiter aus: Seine Arbeitsleistung ist nur gering. Reue und Einsicht über seine Handlungsweise sind bei ihm nicht zu erkennen. Die Umwandlung der Zuchthausstrafe in eine Gefängnisstrafe vermag ich (…) nicht zu befürworten.9
Im März 1943 wandte sich Rietz noch an einen anderen Göttinger Rechtsanwalt, diesmal an Höbbel. Rechtsanwalt Höbbel bat den Anstaltsleiter in Hameln unter dem Hinweis auf das Lungenleiden von Rietz um eine Untersuchung durch den Anstaltsarzt.10 Anscheinend auch deswegen, weil der Brief etwas unglücklich formuliert war, erfolgte diese nicht.11 Rietz wurde am 1.8.1944 nach Göttingen entlassen, wo er zu seiner Familie in die Gronerstraße zurückkehrte.12
1970 versuchte seine Witwe, Versorgungsansprüche aus der Haft geltend zu machen. Das Versorgungsamt Hildesheim wandte sich daraufhin an den Anstaltsleiter in Hameln. Untersucht wurde die Ursache des Todes von Rietz und ob diese in ursächlichem Zusammenhang mit den Schädigungsfolgen der Haft zu sehen wäre. Dabei wurde seitens der Witwe versucht, auch den politischen Charakter der Inhaftierung ihres verstorbenen Ehemannes zu betonen.13 Ob diese Anstrengungen angesichts der Lungentuberkulose 1915 und dem damit verbundenen Status als Kriegsinvalide sowie der politischen Vergangenheit von Rietz erfolgreich waren, muss offen bleiben.
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Quellen
Gefangenenkarteikarte Max Rietz: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Karteikarte Nr. 41/190.
Gefangenenpersonalakte Max Rietz: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 4007.
1Gefangenenkarteikarte Max Rietz, S. 1.
2Gefangenenpersonalakte Max Rietz, S. 10–14, 1.8.1941, Urteilsgründe Rietz.
3Ebenda, S. 5, 27.1.1973.
4Ebenda, S. 10–14, 1.8.1941, Urteilsgründe Rietz.
5Ebenda, S. 7, 29.8.1941, Oberstaatsanwalt als Leiter der Anklagebehörde bei dem Sondergericht Hannover an Zuchthaus Hameln– Strafsache Rietz.
6Gefangenenkarteikarte Max Rietz, S. 1.
7Gefangenenpersonalakte Max Rietz, S. 29, 14.9.1941 .
8Ebenda, S. 42, 16.3.1942, Brief an Rechtsanwalt Gerdes -Rietz.
9Ebenda, S. 34, 9.5.1942, Strafgefängnis Hameln an Oberstaatsanwalt Hannover – Gnadengutachten.
10Ebenda, S. 45, 15.3.1943, Schreiben Rechtsanwalt Höbbel, Göttingen, Markt 1 an Direktor Hameln.
11Ebenda, S. 46, 23.3.1943, Anstaltsarzt Hameln an Direktion Hameln – Sache Rietz. Der Anstaltsarzt empörte sich über Belehrungen des Rechtsanwaltes. In seinem Schreiben empfahl er jedenfalls dem Herrn Dr. jur. Höbbel, sich auf seinen eigenen Hühnerhof zu beschränken. (…)
12Ebenda, S. 57, 1.8.1944, Entlassungsverhandlung Rietz.
13Ebenda, S. 3, 17.7.1970 ,Versorgungsamt Hildesheim an Zuchthausdirektor Hameln.
Rainer Driever