SPD und Nebenorganisationen
Den höchsten Stimmanteil bei Reichstagswahlen erhielt die SPD in Northeim 1928 mit annähernd 45%: Das bedeutete, dass sich 2418 Wahlberechtigte für die Sozialdemokratie entschieden hatten. Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der NSDAP führte bei der Präsidialwahl im März 1932 zu 51% der Stimmen für die Nationalsozialisten in Northeim.1 Bei der Reichstagswahl im Juli 1932 war er bereits bei 61% angekommen, die SPD lag bei 25 %, die KPD verdoppelte ihren Anteil auf 4 %.2
Das Reichsbanner, die Selbstverteidigungsorganisation der Sozialdemokratie, zählte in Northeim Anfang des Jahres 1931 dreihundert Mitglieder, darin eingeschlossen 65 Mann des Jungbanners.3 Wenige Tage vor dem 7. Gründungstag des Reichsbanners am 23.2.1931 wurde ein Probealarm der Organisation durchgeführt. Einhundert Reichsbannerleute versammelten sich binnen einer Stunde auf dem Northeimer Marktplatz vor dem dort wartenden Bezirkskommandeur. Zum Gründungsjubiläum wurde die gesamte Kreisorganisation aufgeboten: 900 Reichsbannerleute marschierten mit 20 Fahnen, zwei Kapellen und zwei Spielmannszügen durch die Stadt zur Kundgebung auf dem Marktplatz, deren Motto die Befürchtungen um einen nationalsozialistischen Putsch spiegelte: Das Reichsbanner muß dafür sorgen, daß genügend Kräfte vorhanden sind, um die Republik zu schützen.4 Um dieses Ziel erreichen zu können, veranstaltete das Northeimer Reichsbanner militärische Manöver und Mobilmachungsproben - häufig getarnt - bei denen ohne Zuhilfenahme von Telefonen, Autos und Fahrrädern innerhalb einer halben Stunde die gesamte Mannschaft versammelt wurde.5
Die Ortsgruppe war dem Kreis Göttingen des Reichsbanners eingegliedert, in dem außer dem Unterkreis Göttingen noch die Unterkreise Uslar und Einbeck zusammengefasst waren. Der Kreisführer selbst kam aus Northeim. Der Kreis Göttingen des Reichsbanners gehörte zum Gau Hannover, dessen Führer der Landtagsabgeordnete Lau aus Hannover war.6
Gewalttaten und Schlägereien zwischen SA-Leuten auf der einen und Reichsbannerangehörigen und Kommunisten auf der anderen Seite kulminierten im Jahre 1932. Eine besonders heftige Auseinandersetzung war die sogenannte „Schlacht an der langen Brücke“ am 9. Juli 1932, auf die hier exemplarisch verwiesen wird. (Schlacht an der langen Brücke PDF)
Die Kommunisten schieden als Bündnispartner der SPD gegen die Nationalsozialisten aus. Die Berührungsangst seitens der Sozialdemokratie sowie die fatale „Sozialfaschismusthese“ der KPD bildeten unüberwindliche Hindernisse in der Strategie gegen die erstarkenden Nationalsozialisten, wenn auch die einfachen Mitglieder beider Parteien sich durchaus auf der Straße unterstützten.
Im August 1932 wurden in einer preußenweiten Aktion die Wohnungen der bekannten Kommunisten durchsucht. Für den Kreis Northeim war die Ausbeute durchaus mager: gefunden wurden ein Schlagring, zwei Dolche, zwei Totschläger und ein Revolver.
1933
Noch im Januar veranstalteten die Kommunisten eine Demonstration mit immerhin 80 Teilnehmern, deren Hauptforderungen sich gegen die wirtschaftliche Not, vor allem die der Erwerbslosen richtete. (Erwerbslosenbewegung Göttingen).7
Kurz nach der Machtübertragung wurden die Haussuchungen vom August bei den einschlägigen KPD-Mitgliedern des Vorjahres wiederholt. Gesucht wurden am 3. Februar inzwischen illegale Schriften, gefunden wurde allerdings nichts.8
Bereits
am 18. Februar wurde in Northeim die Nr. 7 des Northeimer
Echos,
des Blattes der Eisernen
Front
im Kreis Northeim, wegen Verächtlichmachung des Reichskanzlers
und der Parteifahne beschlagnahmt.9
In dem Artikel Vor
der Brautnacht
wurde die Hakenkreuzfahne als dreckiger
Lappen mit dem Pleitekreuz
tituliert.
Die
alte kaiserliche Flagge wurde zusammen mit der Hakenkreuzfahne erst
mit dem Präsidialerlass vom 12. März 1933 als künftige
„Doppel-Nationalflagge“ für das „Dritte Reich“
festgelegt.
Für den 19. Februar plante die Eiserne Front, der Zusammenschluss von SPD, Gewerkschaften, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und den Arbeitersportvereinen, eine Demonstration auf dem Markt in Northeim. Am Arbeitsamt auf dem alten Kasernengelände versammelten sich 400 Teilnehmer mit dem obligatorischen Spielmannszug und marschierten Richtung Innenstadt. Dort hatten sich inzwischen 150 SA-Leute versammelt. An der Grenze zur Altstadt wurde der Zug von der Polizei angehalten und wegen drohender Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Richtung eines Gartenlokals verwiesen, in dem dann die Sozialdemokratie Northeims ihre letzte politische Versammlung abhielt.10
Am 1. März wurden erneut Haussuchungen bei Mitgliedern der KPD vorgenommen und verschiedene Druckschriften und Zeitungen beschlagnahmt.11 Zudem wurde seitens der neuen Machthaber der Schwerpunkt auf das Auffinden von Waffen gelegt. Vom März bis Mitte April 1933 wurde bei Haussuchungen besonders auf Waffen geachtet. Manche der Northeimer Weltkriegsteilnehmer hatten Gewehre oder Pistolen mit aus dem Krieg heimgebracht, manche Reichsbannerleute hatten Waffen für einen Gegenschlag gegen den befürchteten nationalsozialistischen Putsch beschafft.12 (Northeim Durchsuchungen)
Ebenfalls am 1. März wurden 30 Mitglieder von SS und SA als Hilfspolizisten verpflichtet, von denen 10 wahrscheinlich an der Haussuchung am nächsten Tag beim Ortsgruppenführer der KPD, Emil B., teilnahmen. B. wurde wegen Verteilung von Flugblättern gesucht, die allerdings nicht gefunden wurden. Er selbst wurde am nächsten Tag in Berwartshausen (heute Stadt Northeim) verhaftet.13
Die Reichstags- und Kommunalwahlen im März 1933 standen bereits unter dem Zeichen der Repression. Der SPD war nicht erlaubt, Wahlkampfschriften herauszugeben oder Versammlungen abzuhalten. Es erschien aber zumindest eine kurze Zeitungsnotiz, in der zur Wahl der SPD-Liste aufgerufen wurde.14 Am 1. März wurde der Arbeiter Gustav W. wegen Verbreitung einer solchen SPD-Wahlkampfschrift verhaftet (erlaubt waren, z.B. in Göttingen, nur Plakate).15
Im
März wurde das Reichsbanner
im ganzen Reich (in den einzelnen Staaten zu verschiedenen Terminen)
verboten. Am 13. März 1933 wurde der Führer der Northeimer
Reichsbanner-Ortsgruppe in Schutzhaft genommen. 16
Bis zum 23. März hatten die Sozialdemokraten bereits einige Erfahrung mit dem rücksichtslosen Durchsetzungswillen der neuen Machthaber gemacht. Die Anweisung des SPD-Bezirks an die Ortsvereine muten deshalb rückblickend etwas kurios an: Wird die Wahl unserer Gemeindevertreter in Dorf und Stadt genehmigt werden? Diese Frage wird häufig gestellt. Die Frage läßt sich nicht beantworten, da wir nicht wissen, was die jetzige Regierung tun wird. Dennoch müssen wir in jedem Fall, jetzt wie immer, zuverlässige Genossen als Gemeindevertreter aussuchen, wo wir eine Mehrheit haben. Sollten sie später nicht verpflichtet werden, dann werden wir dazu Stellung nehmen. Unter keinen Umständen dürfen wir auf irgendeins unserer Rechte billig verzichten.17
Von den vier Bürgervorstehern der SPD erschienen nur drei auf der ersten Sitzung des neuen Rates am 28. März, der Northeimer Vorsitzende des Reichsbanners war auf dem Weg zur Sitzung noch verhaftet worden.18 Die nächste Sitzung drei Tage später sollte zugleich auch die letzte mit SPD-Beteiligung bleiben.
Nach
dem 7. April 1933 verloren aufgrund des Gesetzes
zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums
45 Personen der Stadtverwaltung (das waren 25%) ihre Arbeitsstelle.
Betroffen waren Arbeiter, Angestellte und Beamte. Ab Mitte April traf
es einen Angestellten der Gasanstalt, einen Buchhalter und den
Bademeister des städtischen Freibads. Ende April 1933 wurden 15
Arbeiter des Bauhofs, sieben der Brauerei und vier der Gasanstalt
entlassen. Ebenso traf es sieben Betriebsratsmitglieder der Freien
Gewerkschaften.19
Anfang Mai wurden die Vorstands- und Ausschussmitglieder der AOK
entlassen wurden. Landrat von der Schulenburg setzte den
NSDAP-Kreisleiter Steineck als Kommissar für die Allgemeine
Orts- und Landeskrankenkasse
ein, der den Geschäftsführer Malz, den Krankenbesucher
Deppe sowie die Angestellten Reiß und Kaiser sofort entließ
und eine allgemeine Überprüfung anordnete.20
Am
29.4.1933 löste sich neben der SPD-Ortsgruppe Northeim auch die
des Reichsbanners
nach
ordnungsgemäßer Abrechnung
auf.21
Am 1. Mai beschlagnahmte die Northeimer Polizei sämtliches
Eigentum der SPD – einschließlich 200 Mark, die sich noch
in der Kasse befanden. Die Funktionäre wurden gleichzeitig von
der Gestapo verhört. Der nächste Schlag richtete sich gegen
die Gewerkschaften, die am 5. Mai aufgelöst und ihre
Liegenschaften beschlagnahmt wurden. 22
Die Feiern zum Ersten Mai beschlossen den Untergang der Arbeiterbewegung in ihrer alten Form. In die vielfältigen Vorbereitungen wurden alle Organisationen und Vereine mit einbezogen. Jeder Bewohner Northeims sollte in der NSDAP-Dienststelle ein Festabzeichen erwerben. Damit war er „berechtigt“, beim Umzug mitzumarschieren bzw. schnell identifizierbar, wenn er keines kaufte.23
Die verschiedenen Verhaftungs- und Verbotsaktionen brachen auch über die Northeimer in einer schnellen Folge herein. Hinzu kam eine andere wichtige Erfahrung: Es war gefährlich geworden, eine abweichende Meinung zu äußern. Die Denunziationen gegen Unvorsichtige hatten sich schnell herumgesprochen. Eine kleine Imitationsnummer von Hitlers Redeweise bescherte einem Gast bei einer Gesellschaft die Denunziation durch die Gastgeberin.24
Bis zum Juni erfolgten 22 politische Verhaftungen in Northeim, die Schutzhäftlinge saßen meist im Gerichtsgefängnis der Stadt. Dass man es auch schlimmer treffen konnte, wurde den Northeimern bereits früher durch einen Artikel über das Konzentrationslager Dachau klargemacht. Mitte Juli war dann in der Northeimer Presse zu lesen, dass neun auswärtige Schutzhäftlinge durch Northeimer Polizeibeamte in das nahegelegene Konzentrationslager Moringen gebracht worden waren.25
Im
Juni wurde einer der beiden verbliebenen SPD-Bürgervorsteher
verhaftet, weil er geäußert hätte daß
der Stahlhelm die SA bald zusammenhauen werde.
Eine Hausiererin wurde in Haft genommen, weil sie aufreizende
und unwahre Gerüchte
verbreitete, und ebenfalls noch im Juni ein Arbeiter wegen
Beschimpfung der Nationalsozialisten.26
Ende
August berichtet die Northeimer Presse in ironischem Tonfall, dass
ein Arbeiter Heil
Moskau
gerufen habe und dafür in das in der Nähe gelegene
Konzentrationslager gebracht worden sei. Am 1. September wurde ein
Arbeiter verhaftet, der
in einer hiesigen Gastwirtschaft durch staatsfeindliche Äußerungen
Ärgernis erregt hatte.27
Im November 1933 wurden zwei Thalburgerinnen wegen
eines albernen Geschwätzes über Nationalsozialisten
festgenommen.28
Dies alles wirkte ernüchternd und machte vorsichtig. Das gesellschaftliche Leben wurde nun - neben dem der Vereine und Organisationen - „gleichgeschaltet“ bzw. entwickelte einen enormen Konformitätsdruck. Ein Northeimer erinnerte sich: Es lag nicht so sehr daran, daß die Kritik gefährlich war; sie war sinnlos.29
Denunziationen waren so verbreitet, dass die Northeimer Neuesten Nachrichten im September einen Leitartikel gegen anonyme Denunziationen veröffentlichten. Im gleichen Monat wurde durch SA und SS eine Razzia auf Bettler in Northeim durchgeführt. Diese blieb zwar erfolglos, aber kurze Zeit später gelang es der Polizei, die die Aktion wiederholte, doch noch einen einzigen Unglücklichen zu fangen.30
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Literatur und Quellen:
Allen, William S. (1966): "Das haben wir nicht gewollt!" : die nationalsozialistische Machtergreifung in einer Kleinstadt 1930 - 1935. Gütersloh: Mohn.
Just, Ekkehard (1992): Northeim 1848 - 1948: der lange Weg zu Freiheit und Demokratie. Northeim: Stadt Northeim (Abhandlungen und Studien aus dem Stadtarchiv Northeim / Stadtarchiv Northeim).
Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 153, Nr. 21.
1Allen 1966, S. 98.
2Ebenda, S. 129.
3Ebenda, S. 50.
4Ebenda, S. 53.
5Ebenda, S. 98.
6Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, S. 6-7v, 30.8.1932 - Ortspolizei an Polizeipräsidenten Hannover - Bericht Reichsbanner. Allen (S. 98) benennt Northeim als Sitz des Reichsbannerkreises 10, zu dem außer Kreis Northeim noch drei weitere Kreise gehörten, mit insgesamt 2000 Mitgliedern.
7Allen 1966, S. 139.
8Just 1992, S. 190, 3.2.1933 - Northeimer Neueste Nachrichten -Haussuchungen.
9Ebenda, S. 190, 18.2.1933 - Northeimer Neueste Nachrichten - Beschlagnahmung "Eiserne Front".
10Allen 1966, S. 155.
11Just 1992, S. 190,.1.3.1933 - Northeimer Neueste Nachrichten - Beschlagnahmung Druckschriften KPD und SPD.
12Allen 1966, S. 184.
13Just 1992, S. 191, 2.3.1933 - Northeimer Neueste Nachrichten - Haussuchung KPD.
14Allen 1966, S. 162, 5.-12.3.1933 - Verhaftungen, Wahlkampf.
15Just 1992, S. 190, 1.3.1933 - Northeimer Neueste Nachrichten - Festnahme wegen SPD-Wahlkampfschrift.
16Ebenda, S. 197, 14.3.1933 - Northeimer Neueste Nachrichten - Schutzhaft Führer Reichsbanner.
17Allen 1966, S. 192, 23.3.1933 - SPD-Bezirk an die Ortsvereine – Anweisungen.
18Ebenda, S. 170.
19Ebenda, S. 177, 7. April 1933 - Säuberungen aufgrund Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums.
20Just 1992, S. 195, 5.5.1933 - Northeimer Neueste Nachrichten - Entlassung der Vorstands- und Ausschussmitglieder der Allgemeinen Orts- und Landeskrankenkasse.
21Just 1992, S. 202, 9.5.1933 - Northeimer Neueste Nachrichten - Selbstauflösung Ortgruppe SPD und Reichsbanner.
22Allen 1966, S. 201, 29.4.1933 - Selbstauflösung SPD.
23Ebenda, S. 211, 1.5.1933 - Vorbereitungen und Kontrollsystem zur Anwesenheit.
24Ebenda, S. 189.
25Ebenda, S. 187.
26Ebenda, S. 188.
27Just 1992, S. 198, 2.9.1933 - Northeimer Neueste Nachrichten - Festnahme staatsfeindliche Äußerungen.
28Allen 1966, S. 254.
29Ebenda, S. 189.
30Ebenda, S. 254.
Rainer Driever