Bernhard Tuczynski
Bernhard
Tuczynski kam als erstes Kind des Ehepaars Felix (1.10.1893 –
2.2.1945) und Maria (geb. Ruhrmann, 2.7.1898) Tuczsynski am 16.4.1924
in Göttingen zur Welt. Sein Bruder Herbert wurde am 17.2.1927,
seine Schwester Mari Elisabeth am 1.2.1936 geboren. Sie starb
spätestens Anfang der 1940er Jahre. Die Familie wohnte ab 1923
in der Gronerlandstraße 63a und zog fünf Jahre später
in die Reinhäuser Landstraße um. Bernhard besuchte die
kath. Volksschule.1
Sein Vater, ein Weltkriegsteilnehmer arbeitete als Fahrradmechaniker bei der Firma Fritz Ruhr (Ruter) bis er sich 1932 mit einer Fahrradwerkstatt in der Geismarlandstraße 5 selbstständig machte. 2.
Die Familie Tuczynski war katholisch sozialisiert. Felix Tuczynski war bis zur Auflösung der Partei Mitglied des Zentrums. Ab 1912 gehörte er zudem, ebenfalls bis zur Auflösung der Organisation, dem Katholischen Gesellenverein Kolpingfamilie an. Bernhard trat noch 1935 dem Deutschen Pfadfinderbund St. Georg bei, dessen Arbeit 1938 verboten wurde. In Kirchen, Pfarrheimen und Wohnungen wurde von einigen Leitern weiter pfadfinderische Arbeit geleistet. So auch in Göttingen. Über Bernhard Tuczynski hieß es im Urteil von 1943: Etwa seit 1939 hat er regelmäßig an losen Zusammenkünften junger Katholiken bei einem kath. Pfarrer in Göttingen teilgenommen.3
Ab
Anfang April 1938 absolvierte er bei der Verkaufsgesellschaft
vereinigter Ziegeleien
in Göttingen eine kaufmännische Lehre.4
Nach bestandener Prüfung arbeitete er
noch etwa ein Jahr bei seinem Lehrherrn.
Von
1936 bis 1937 war er Mitglied im Jungvolk.
Im November 1941 sah er sich gezwungen, in die Hitlerjugend
einzutreten. In seiner Anklage hieß es später: Zum
Dienst ging er wenig, teils infolge Erkrankung, teils aus Unlust und
Abneigung.5
Am 4. Februar 1942 wurde Bernhard Tuczynski gemustert und als tauglich für die Infanterie eingestuft.6 Vorgesehen wurde er zunächst für den Reichsarbeitsdienst (RAD), sein Dienstantritt war der 2. März 1942.7 Ende April wurde seine Einheit nach Russland verlegt, wo er sich zuletzt im Kaukasus im Einsatz befand.
Die
grundlegende Ablehnung seines Vaters gegenüber der
nationalsozialistischen Weltanschauung wurzelte im Katholizismus. In
diesem Sinne erzog Felix Tuczynski auch seine Kinder. In seiner
Fahrradwerkstatt in der Geismarlandstraße 5 trafen sich
Göttinger, die dem Regime kritisch gegenüber standen.8
Ende des Jahres 1941 kauften sich die Tuczynskis einen
Volksempfänger, was für die weiteren Geschehnisse bedeutend
werden sollte.
In der Begründung des Sondergerichtsurteils ein Jahr später konstatieren die Richter eine allgemein staatsablehnende Haltung von Vater und Sohn. Diese begründen sie mit der katholischen Verwurzelung der Familie, die minutiös geschilderte wurde. Erschwerend hinzu käme, dass Vater und Sohn je nur eine Mitgliedschaft in einer NS-Organisation aufzuweisen hätten (Felix T. im RLB, sein Sohn in der DAF): (…) In dieser allgemein staatsablehnenden Haltung wurden beide Angeklagten dann durch das Abhören ausländischer Sender bestärkt. Bis zu seiner Einberufung zum RAD hörte Bernhard Tuczynski mehrmals in der Woche abends den deutschsprachigen Nachrichtendienst der BBC (British Broadcasting Corporation). Als sein Vater dies entdeckte, verbot er seinem Sohn zunächst die Sendungen, nach einiger Zeit hörten sie jedoch zusammen BBC und redeten anschließend über das Gehörte. 9
Bernhard Tuczynski (Im Urteil: (…) der den Nachrichten des englischen Senders uneingeschränkt Glauben schenkte ...) machte sich zum so Gehörten Notizen in seinem Tagebuch. In der Urteilsbegründung hieß es dazu, dass Bernhard T. jetzt von Gedanken beherrscht ist und eine Haltung gezeigt hat, die bei einem deutschen Jungen in der heutigen Zeit geradezu erschütternd ist. Über die Verantwortlichkeit seines Vaters Felix hieß es, dass er seinem Sohn kurz vor der Einberufung zum RAD ein ganz verderbliches Beispiel gegeben (und) alles unterlassen hat, seinen Sohn mit aller Energie auf den rechten Weg zu bringen und ihn zur Mannhaftigkeit zu erziehen.10 Er hatte ihn in den Augen der Richter zu einem Gegner des Nationalsozialismus erzogen.
Bernhard Tuczynskis Tagebuch wurde ihm in seiner Zeit beim RAD zum Verhängnis. Zwar fiel er beim Arbeitsdienst durch nicht unbedingt freudigen Einsatz auf, auch seine mitunter zweideutigen Bemerkungen wurden nicht durchweg gut aufgenommen. Denunziert wurde er aus dem Kreis seiner RAD-Einheit, nachdem einige Kameraden seine Sachen durchstöbert hatten und dabei sein Tagebuch fanden.11 Mit dem Fund dieses Tagebuchs aber hatte die Gestapo nun etwas konkretes, um gegen Tuczynski wegen seiner Regimegegnerschaft vorzugehen. Es enthielt zudem Passagen zur militärischen Lage, die auf das Anhören eines Feindsenders hindeuteten.12 (Bernhard Tuczynski Aufzeichnungen PDF)
Am 30. Oktober 1942 wurde er bei seiner Einheit vorläufig festgenommen und zurück nach Deutschland transportiert. Dort wurde er am 6. Dezember in das Polizeigerichtsgefängnis Hildesheim eingeliefert, wo er bis zum Prozess inhaftiert war.13
Am
12. März 1943 erging das Urteil des Oberlandesgerichts Celle
beim Landgericht Hannover: Die
Angeklagten werden wegen Abhörens des englischen Senders
verurteilt (der
Versuch einer Anklage wegen Heimtücke
und Vorbereitung
zum Hochverrat
scheiterte) und
zwar:
der Angeklagte Bernhard Tuczynski zu mindestens 1 Jahr 6
Monaten Gefängnis
der Angeklagte Felix Tuczynski zu 2 Jahren
Zuchthaus und zu 2 Jahren Ehrverlust.
Zur
Begründung der nicht genau festgelegten Freiheitsstrafe heißt
es: Angesichts
dieser inneren Verfassung des Angeklagten, dessen Tat mit einer
längeren Freiheitsstrafe geahndet werden muss, ist nicht
vorauszusehen, welche Strafe erforderlich ist, um ihn durch die
Erziehung im Strafvollzug (unleserlich) Menschen zu machen.14
Den ersten Teil seiner Haftstrafe verbüßte Bernhard Tuczsynski im Jugendgerichtsgefängnis in Herford. Im Juli 1943 wurde er in das Jugendgefängnis in Wohlau/Schlesien überführt.15 Da ihm im Urteil die Zeit der Untersuchungshaft angerechnet wurde, schrieb der Vollstreckungsleiter für das Jugendgefängnis Wohlau am 11.4.1944 ein Gutachten. Tuczynski blieb nach Verbüßung der Mindeststrafe weiter in Strafhaft. Gegen seine Entlassung sprachen die nicht glaubhafte innere Umstellung, seine nicht einwandfreie Führung sowie die Verhängung von Hausstrafen. Er wurde als vorläufig noch nicht entlassungsreif beurteilt. Weiter hieß es: Sollte sich seine innere Umstellung vertiefen und seine Führung in jeder Hinsicht tadellos werden, wird es noch im Laufe des Sommers 1944 zu verantworten sein, ihn für den Wehrdienst freizugeben.16 Am 15. September 1944 wurde er schließlich entlassen, um seinen Wehrdienst anzutreten.
Am 18. Januar 1945 erlitt Bernhard Tuczsynski einen Oberarmdurchschuss und kam in das Reserve-Lazarett Bernburg.17 Nachdem er am 10. Februar das Verwundetenabzeichen in Schwarz verliehen bekam18, erhielt er vom 14. bis zum 23. Februar einen Sonderurlaub.19 Inzwischen, am 2. Februar, war sein Vater im Zuchthaus Celle an den Folgen von Haft und Arbeitsbedingungen im Lager-Kaiserhafen Wesermünde gestorben. (Felix Tuczsynski) Nachdem die Wunde erneut angefangen zu eitern, meldete sich Tuczsynski am 17.2.1945 beim Standortarzt in Göttingen krank und wurde in die Chirurgische Ambulanz übernommen. Mitte März entließ ihn der behandelnde Oberarzt als für einen weiteren Monat bedingt kriegsverwendungsfähig zum Ersatztruppenteil.20 Damit dürfte der Krieg für Tuczynski zu Ende gewesen sein.
Kurz nach Kriegsende wohnte Bernhard Tuczynski wieder bei seiner Mutter Maria in der Reinhäuser Landstraße.21 Er heiratete am 15. Mai 1948 22, das Ehepaar zog spätestens 1949 in die Gronertorstraße. Im selben Jahr wurde Bernhard Tuczsynski als Verfolgter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anerkannt und eine Haftentschädigung für 23 Monate gewährt. Seine Mutter Maria hatte einige Schwierigkeiten, nach dem Niedersächsischen Rentengesetz für politisch Verfolgte Zahlungen für ihren toten Ehemann zu erhalten. Der Kreissonderhilfsausschuss Göttingen blockierte zunächst 1949 ihren Antrag mit der Begründung, dass man als „Rundfunkhörer“ keinen Anspruch habe. Ab Mitte 1954 aber erhielt sie aufgrund des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) eine kleine Rente.23
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Quellen
Gefangenenpersonalakte Felix Tuczynski: Zuchthaus Celle. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 4477.
Nachlass Bernhard und Felix Tuczynski. Stadtarchiv Göttingen, Kleine Erwerbungen Nr. 169.
1Gefangenenpersonalakte Felix Tuczynski, S. 15, Lebenslauf - Ergänzung sowie Meldekarte Felix Tuczynski, StA Göttingen.
2Ebenda, S. 13, 16.4.1943, Lebenslauf Felix Tuczynski.
3Ebenda, S. 20, Urteil des Sondergerichts Hannover vom 12.03.1943, S. 2.
4Nachlass Bernhard und Felix Tuczynski, 3, 31.03.1941 - Bernhard Tuczynski: Kaufmannsgehilfenbrief.
5Gefangenenpersonalakte Felix Tuczynski, S. 19v, Urteil des Sondergerichts Hannover vom 12.03.1943, S. 2.
6Nachlass Bernhard und Felix Tuczynski, 5, 26.01.1942 - Bernhard Tuczynski: Gestellungsbefehl.
7Ebenda, 61, 08.12.1942 - Reichsarbeitsdienst-Entlassungsschein Bernhard Tuczynski.
8Ebenda, S. 39, 16.01.1953 - Friedrich Otto: Eidesstattliche Erklärung für Felix Tuczynski. In diesem Sinne auch die Erklärungen von Robert Bauer und Josef Bursch, ebenda, S. 40 und 41.
9Ebenda, 50, 07.06.1946 - Bernhard Tuczynski: Wiedereinstellung des Lehrers Klant.
10Ebenda, S. 19–22, 12.3.1943, Urteil gegen Tuczynski, Vater und Sohn.
11Ebenda, 52, 07.06.1946 - Bernhard Tuczynski: Wiedereinstellung des Lehrers Klant.
12Ebenda, 35, 12.04.1949 - Bernhard Tuczynski an Kreissonderhilfsausschuss: Umgang der Entschädigungsbehörde mit seiner Mutter.
13Ebenda, 30, 06.12.1949 - Kreissonderhilfsausschuss: Haftentschädigungsbescheid Bernhard Tuczynski, S. 2.
14Ebenda, 56–60, 12.03.1943 - Sondergericht Hannover: Urteil gegen die Tuczynskis, Abschrift des Urteils, S. 1 und 5.
15Ebenda, 30, 06.12.1949 - Kreissonderhilfsausschuss: Haftentschädigungsbescheid Bernhard Tuczynski.
16Ebenda, 9, 11.04.1944 - Bernhard Tuczynski: Gutachten Vollstreckungsleiter für das Jugendgefängnis Wohlau.
17Ebenda, 10, 20.01.1945 - Bernhard Tuczynski an seine Mutter.
18Ebenda, 11, 10.02.1945 - Bernhard Tuczynski: Verwundetenabzeichen.
19Ebenda, 12, 13.02.1945 - Bernhard Tuczynski: Kriegsurlaubsschein.
20Ebenda, 15, 14.03.1945 - Oberarzt Chirurgische Ambulanz Göttingen: Zusammenfassung Behandlung Bernhard Tuczynski.
21Ebenda, 14, 24.05.1945 - Militärregierung: Reiseerlaubnis Obernjesa.
22Meldekarte Bernhard Tuczynski, StA Göttingen.
23Nachlass Bernhard und Felix Tuczynski, 42, 24.08.1954 - Regierungspräsident als Entschädigungsbehörde: Teilbescheid für Maria Tuczynski.
Rainer Driever