Felix Tuczynski
Felix
Tuczynski wurde am 1.10.1893 in Rawitsch (Kreis Posen) als
Sohn des Postschaffners Anton Tuczynski und seiner Ehefrau Katharina
geboren.
Er wuchs zusammen mit zwei Brüdern (Klaus und Edmund) und
Schwestern auf (seine Schwester Hanna Schötler wohnte Anfang der
1940er Jahre ebenfalls in Göttingen).1
Die Eltern
siedelten 1903 nach Göttingen über, wo er die Volksschule
bis zur 8. Klasse besuchte. Danach absolvierte er von 1908-1911 eine
Lehre zum Fahrradmechaniker. Anschließend fand er bis 1914
Arbeit in verschiedenen Firmen der Metallbranche in Göttingen,
ab 1912 z.B. bei der Firma Fritz Ruhr (Ruter). Er nahm am Weltkrieg
teil und arbeitete nach Kriegsende bei seiner alten Firma als
Werkstattleiter bis 1932. Dann machte er sich mit einer
Fahrradwerkstatt selbstständig2.
1923 heiratete Felix Tuczynski Marie Ruhrmann aus Göttingen. 3
Ihr Sohn Bernhard wurde als erstes Kind der Familie am 16.4.1924
in Göttingen geboren. Sein Bruder Herbert wurde 17.2.1927
geboren, seine Schwester Mari Elisabeth am 1.2.1936. Sie starb
spätestens Anfang der 1940er Jahre. Die Familie wohnte in der
Reinhäuser Landstraße.
Die Familie Tuczynski war katholisch sozialisiert. Felix Tuczynski war bis zur Auflösung der Partei Mitglied des Zentrums. Ab 1912 gehörte er zudem, ebenfalls bis zur Auflösung der Organisation, dem Katholischen Gesellenverein Kolpingfamilie an. Bernhard trat noch 1935 dem Deutschen Pfadfinderbund St. Georg bei.4 Im selben Jahr erhielt sein Vater das Ehrenkreuz für Frontkämpfer.5
Felix
Tuczynskis grundlegende Ablehnung der nationalsozialistischen
Weltanschauung wurzelte im Katholizismus. In diesem Sinne erzog er
auch seine Kinder. In seiner Fahrradwerkstatt in der
Geismarlandstraße 5 trafen sich Göttinger, die dem Regime
kritisch gegenüber standen.6
Ende des Jahres 1941 kauften sich die Tuczynskis einen
Volksempfänger, was für die weiteren Geschehnisse bedeutend
werden sollte.
Tuczynski wurde von der Göttinger Gestapo beobachtet. Als Staatsfeind verdächtigt, suchte man anscheinend vergeblich nach Anhaltspunkten für eine Anklage wegen Vorbereitung zum Hochverrat.7 Nachdem sein Sohn am 30.11.1942 wegen Vorbereitung zum Hochverrat verhaftet und mehrfach von der Gestapo vernommen worden war, wurde Felix Tuczynski am 10.12.1942 von der Gestapo Göttingen ebenfalls verhaftet und ein paar Tage später in das Gerichtsgefängnis Hildesheim überführt. Dort saß er bis zum 30. Dezember des Jahres in Schutzhaft. Am letzten Tag des Jahres 1942 wurde gegen ihn ein Ermittlungsverfahren aufgrund des Heimtückegesetzes und wegen Rundfunkverbrechen eröffnet. Am 3. März 1943 wurde er von Hildesheim in die Strafanstalt Hannover überführt. 8
Am
12. März 1943 erging das Urteil des Oberlandesgerichts Celle
beim Landgericht Hannover. Dort hieß es: Die
Angeklagten werden wegen Abhörens des englischen Senders
verurteilt und zwar:
der Angeklagte Bernhard Tuczynski zu
mindestens 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis
der Angeklagte Felix
Tuczynski zu 2 Jahren Zuchthaus und zu 2 Jahren Ehrverlust.
In der Begründung des Urteils konstatieren die Richter eine allgemein staatsablehnende Haltung der Angeklagten. Diese begründen sie mit der katholischen Verwurzelung der Familie, die minutiös geschilderte wurde. Erschwerend hinzu käme, dass Vater und Sohn hätten je nur eine Mitgliedschaft in einer NS-Organisation aufzuweisen hätten (Felix T. im RLB, sein Sohn in der DAF): (…) In dieser allgemein staatsablehnenden Haltung wurden beide Angeklagten dann durch das Abhören ausländischer Sender bestärkt. Bis zu seiner Einberufung zum RAD Anfang März 1942 hörte Bernhard Tuczynski mehrmals in der Woche abends den deutschsprachigen Nachrichtendienst der BBC (British Broadcasting Corporation). Als sein Vater dies entdeckte, verbot er seinem Sohn zunächst die Sendungen, nach einiger Zeit hörten sie jedoch zusammen BBC und redeten anschließend über das Gehörte.
Über die Verantwortlichkeit seines Vaters Felix hieß es, dass er seinem Sohn kurz vor der Einberufung zum RAD ein ganz verderbliches Beispiel gegeben (und) alles unterlassen hat, seinen Sohn mit aller Energie auf den rechten Weg zu bringen und ihn zur Mannhaftigkeit zu erziehen.9 Er hatte ihn in den Augen der Richter zu einem Gegner des Nationalsozialismus erzogen.
Mitte April 1943 wurde Felix T. aus dem Untersuchungsgefängnis Hannover in das Strafgefängnis Celle transportiert.10 Er wurde dort zunächst mit Tütenkleben beschäftigt, seine Arbeitsleistung war Gegenstand von Beschwerden der aufsichtsführenden Beamten.11 Ansonsten sind die Spuren für das Jahr 1943 spärlich, seine Ehefrau besuchte ihn kurz vor Weihnachten.12 In seinem Gnadengutachten vom Januar 1944 erkannte der Anstaltsleiter, trotzdem sich T. während seiner Strafhaft ordentlich geführt und ebenso gearbeitet hat, keine besonderen Gründe, die einen Gnadenakt rechtfertigen.13
Im Mai 1944 wurde Felix Tuczynski verlegt. Am 13. wurde er zunächst in die Haftanstalt Wesermünde überführt. Von dort ging es weiter in die Außenarbeitsstelle Lager-Kaiserhafen in Wesermünde, die zum Zuchthaus Celle gehörte. Am 19.9.44 wurde er wieder in die Haftanstalt Wesermünde und von dort am 17.10.1944 wieder zurück in das Zuchthaus Celle verlegt. Sein Strafende war eigentlich der 18.10.1944. Allerdings intervenierte die Gestapo in Celle, sodass er weiter im Zuchthaus Celle als Schutzhäftling verblieb.14
Dort war er noch im Januar 1945 inhaftiert und wartete auf seine Entlassung. Am 10. Februar 1945 meldete der Vorstand des Zuchthauses der Ortspolizei Göttingen den Tod von Felix Tuczynski. Er war am 2. Februar gegen 20.30 Uhr gestorben. In der ärztlichen Todesbescheinigung ist als Todesursache Zellgewebsentzündung und allg. Schwäche verzeichnet.15 Tuczynskis letzte Eintragung im Krankenblatt datiert vom März 1944. Es ist anzunehmen, dass die Arbeitsbedingungen im Lager-Kaiserhafen Wesermünde dem 51-Jährigen, der dort vom Mai bis September 1944 arbeitete, stark zugesetzt haben und für seinen Tod verantwortlich waren.16
Sein Sohn Bernhard kehrte nach seiner Haft nach Göttingen zurück und heiratete am 15. Mai 1948.17
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Quellen
Gefangenenpersonalakte Felix Tuczynski: Zuchthaus Celle. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 4477.
Nachlass Bernhard und Felix Tuczynski. Stadtarchiv Göttingen, Kleine Erwerbungen Nr. 169.
1Gefangenenpersonalakte Felix Tuczynski, S. 51, Vorgang Tuczynski, Familie.
2Ebenda, S. 13, 16.4.1943, Lebenslauf Felix Tuczynski.
3Ebenda, S. 15, Lebenslauf. Ergänzung.
4Ebenda, S. 20, Urteil des Sondergerichts Hannover vom 12.03.1943, S. 2.
5Nachlass Bernhard und Felix Tuczynski, S. 1, 20.05.1935, Felix Tuczynski: Ehrenkreuz für Frontkämpfer.
6Ebenda, S. 39, 16.01.1953 - Friedrich Otto: Eidesstattliche Erklärung für Felix Tuczynski. In diesem Sinne auch die Erklärungen von Robert Bauer und Josef Bursch, ebenda, S. 40 und 41.
7Ebenda, S. 44, 24.08.1954 - Regierungspräsident als Entschädigungsbehörde: Teilbescheid Entschädigungssache Maria Tuczynski, S. 3.
8Ebenda, S. 18–25, 11.03.1955 - Regierungspräsident als Entschädigungsbehörde: Entschädigungssache Felix Tuczynski, S. 4.
9Gefangenenpersonalakte Felix Tuczynski, S. 19–22, 12.3.1943, Urteil gegen Tuczynski, Vater und Sohn.
10Ebenda, S. 23, 3.4.1943, Oberstaatsanwalt Hannover - Transportersuchen.
11Ebenda, S. 65, 9.4.1943, Anzeige Oberwachtmeister Bekurs.
12Ebenda, S. 33, 9.12.1943, Besuchserlaubnis für die Ehefrau.
13Ebenda, S. 29, 29.1.1944, Vorstand Zuchthaus Celle - Gnadenerweis.
14Ebenda, S. 6, 8.4.1957, an Generalstaatsanwalt Celle - Tuczynski.
15Ebenda, S. 39, Oberwachtmeister Prediger an Vorstand Zuchthaus.
16In diesem Sinne auch: Nachlass Bernhard und Felix Tuczynski, S. 42, Entschädigungssache Maria Tuczynski, Teilbescheid, S. 4.
17Meldekarte Bernhard Tuczynski, StA Göttingen.
Rainer Driever