August Fricke – Haft im Strafgefängnis Hameln

Fricke wurde am 25. Juli 1933 vom Gerichtsgefängnis Kassel in das Strafgefängnis Hameln eingeliefert.1

Wie alle Strafgefangenen in Hameln musste auch Fricke einen Lebenslauf verfassen. Als Beruf gab Fricke Bauarbeiter an, seine religiöse Zugehörigkeit mit „Dissident“. Fricke besuchte die Volksschule und war danach in verschiedenen Betrieben angestellt. Im Juli 1930 wurde er das letzte Mal entlassen. Er hatte 4 Geschwister und mit seiner Frau Minna (geb. Beyer) ein Kind. Zwei Vorstrafen gab Fricke an (darüber wurde zudem eine Auskunft eingeholt): eine wegen Unfugs und eine wegen Flugblattverteilung. Ein aktuelles Tateingeständnis gab er nicht ab.2

Fricke stellte ab dem 28.7.1933 Briefanträge, seine Briefe gingen meist an seine Frau und seine Eltern, er schrieb aber auch an den Magistrat in Einbeck.3

Von den sog. Tagesbeobachtungen haben nur drei überdauert. Am 26.4.1934 heißt es: Führt sich hausordnungsgemäß, gehört zu den Unbeschäftigten, hält seine Zelle in Ordnung und gibt zu Klagen keinen Anlass.4 Drei Monate später noch einmal: Seine Führung war einwandfrei. (Er) ist ein stiller ruhiger Mensch, der wenig Ansprüche stellt. Er wird (…) als Tütenkleber beschäftigt.5 In der dritten Beobachtung vom Dezember 1933 wurde er differenzierter beurteilt. Abteilungswachtmeister, Werkmeister, Hauptwachtmeister und Anstaltslehrer bescheinigten Fricke eine gewisse Hartnäckigkeit in seiner kommunistischen Überzeugung. Er zeige keine Einsicht, eine Sinnesänderung sei nicht in Sicht. Von dieser Einschätzung hing auch seine Einstufung innerhalb des Gefängnisses ab.6

Die Einstufung „Vergünstigungen für Überzeugungstäter“ (Stufe II) bedeutete: Raucherlaubnis, Einkauf, Empfang einer Geburtstags- und Weihnachtsgabe, Spaziergang, monatlich 5 RM für Einkauf, Lichterlaubnis bis 22 Uhr, Briefe, Zeitung vom Hausgeld.7 Diese Bevorzugung innerhalb der preußischen Gefängnisse wurde am 2. Mai 1933 durch den preußischen Justizminister abgeschafft. „Überzeugungstäter“ wurden fortan nach den allgemeinen Bestimmungen behandelt: Spaziergang Stufe I, Entzug der Raucherlaubnis, Einkaufserlaubnis, Lichterlaubnis, Erlaubnis Geburtstagspaket, Licht bis 20 Uhr, monatlich einen Privatbrief.8

Fricke bemühte sich im Sommer 1934, vom Tütenkleben auf Anstaltsreiniger zu wechseln. Von dieser Tätigkeit wurde er schnell mit der Begründung „ wegen kommunistischer Betätigung“ abgelöst.9 Post- und Essensverteilung sowie die Reinigungsarbeiten waren ideal für die politische Netzwerkarbeit im Gefängnis.

Ende August 1934 hatte Fricke eine Aussetzung der Reststrafe auf Bewährung beantragt. In seinem Gnadengutachten (das an die Tagesbeobachtung vom 26.12.33 angelehnt war) durch den Direktor des Strafgefängnisses hieß es: (…) Fricke stammt aus Landarbeiterkreisen und war selbst als Bauarbeiter beschäftigt. Er ist in kommunistischen Gedankengängen aufgewachsen, hat sich als rühriger Kommunist betätigt und bis zuletzt Funktionärsstellen versehen.
Im Anstaltsleben führt er sich hausordnungsgemäß und leistet zufriedenstellende Arbeit. Er ist nicht unbegabt, besitzt eine über seinen Stand hinausgehende Bildung und erwies sich auch im Unterrichte der Anstaltsschule als ein aufmerksamer, geistig reger Schüler.
Weniger zufriedenstellend ist aber seine innere Haltung. Seine Straftat leugnet er glatt ab und läßt sich weder erziehlich beeinflussen noch Anzeichen einer Sinnesänderung erkennen. Er ist offenbar nach wie vor staatsfeindlich eingestellt.
Das Gesuch um Strafaussetzung mit Bewährungsfrist kann daher nicht befürwortet werden.10 August Fricke wurde am 2. November 1934 aus dem Strafgefängnis Hameln entlassen.11

Fricke erinnert sich an seine Haft in Hameln:

In Hameln verbrachte ich die Haftzeit im Zellenflügel, in der Abteilung für Einzelhaft. Das Gefängnis war überfüllt, in der Einmannzelle waren in der Regel drei Mann zusammengepfercht. Noch schlimmer aber war es auf den Massenstationen.

In Hameln waren auch aus anderen Prozessen die Genossen Fritz Schaper und Ernst Möhring sowie der Antifaschist Karl Fischbach, der in den zwanziger Jahren Mitglied des KJVD war. Außerdem waren Lauterberger Genossen wegen Landesfriedensbruch und wegen des gleichen Delikts auch Genossen aus Bremen-Hemelingen in Hameln. Die meisten Namen sind mir entfallen, ich erinnere mich aber noch gut an Fritz Häusler aus Frankfurt und den mir aus der Thüringer Zeit bekannten Rudolf Becker aus Erfurt. Letzterer war Bankangestellter, während der Zeit des Faschismus später beruflich nach Alfeld versetzt, wo er nach 1945 in der Partei war, bis er dann wieder nach Erfurt zurückgegangen ist. Die Verhafteten aus den damals preußischen Kreisen Thüringens wurden vom Sondergericht in Kassel verurteilt und soweit sie mit Gefängnis bestraft waren, kamen sie nach Hameln. Darunter auch der Genosse Hermann Jahn aus Erfurt. Er war der Vater vom jetzigen ersten Sekretär der SED im Bezirk Potsdam, Günther Jahn.

Einige ältere Justizbeamte verhielten sich gegenüber den politischen Gefangenen human. Für sie galten die politischen Häftlinge nicht als Verbrecher. Ich war zuerst mit zwei Kriminellen in einer Zelle; es war schwer, damit auszukommen. Wir sollten als Politische von der Außenwelt isoliert werden. Selbst der Besitz von Nazizeitungen wurde mit Arrest bestraft. Es gab einige Beamte, die ließen Zeitungen bewußt liegen. Als ich eine Zeitung im Austausch von einem Genossen erhalten hatte, denunzierte mich ein Krimineller namens Meyer aus Nienburg bei einem Beamten. Der Beamte tat, als hätte er nichts gehört und schloß schnell die Tür. Nach etwa einer Stunde kam er und sagte zu Meyer: “Die Sachen packen, Sie werden verlegt, das ist hier wohl nicht der richtige Platz für Sie." Nach ein paar Wochen Übergangszeit bei einem anderen Häftling kam ich als Hilfskalfaktor auf den Flur und bei Sepp Sauer, einem Genossen aus Bremen-Hemelingen, in die Zelle. Leider habe ich nie wieder etwas von ihm gehört. Mit Duldung einiger Beamter war es uns fast das ganze Jahr 1934 möglich, während des Kirchganges der anderen in einer Zelle mit 5-6 Genossen jeden Sonntagmorgen zusammenzukommen. In den ersten Tagen des Dezember 1934 wurde ich entlassen und kehrte zur Familie zurück.12

Die Jahre 1938 bis 1940

Fricke erinnert sich: Durch Vermittlung von Sozialdemokraten hatte ich 1938 in der Fahrradfabrik Heidemann Beschäftigung gefunden. Ich kam in die Schleiferei. In dieser Abteilung waren Nationalsozialisten, SA-Männer und ein SS-Mann‚ aber auch Antifaschisten. Der Meister war Sozialdemokrat.

Nach Ausbruch des Krieges ging die Fahrradproduktion zur Wehrmacht. Außerdem wurde anderes Kriegsmaterial hergestellt, darunter Motorradanhänger zum Transport von Maschinengewehren. Es wurde in Zeitakkord gearbeitet. Für die Arbeiter ging es um günstige Akkordlöhne. Niedrige Akkordzeiten hätte - um gleichen Lohn zu verdienen - Erhöhung der Kriegsproduktion bedeutet. 13

Und weiter: Im April 1940 wurde ich zum Militär eingezogen. Nach Bestrafung wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ war ich „wehrunwürdig“. Nach Ausbruch des Krieges war eine Ausnahmebestimmung erlassen, die kam nun zur Anwendung. Die Firma Heidemann hatte UK-Antrag (Unabkömmlichkeitsantrag) gestellt, der wurde abgelehnt. So kam ich mit vielen anderen Einbeckern zu einer Luftwaffenbaukompanie, zum Flugplatzbau an die Ostseeküste.

Im Dezember 1940 gab es einen „Göring-Erlaß“, nachdem alle Metallfacharbeiter für die Arbeit in der Rüstungsindustrie beurlaubt werden sollten. So kam ich wieder in den Betrieb Heidemann. (...) (Dann wurde ich) als einzelner zur MIAG nach Braunschweig zwangsverpflichtet. Nun stand ich allein unter Unbekannten. (...) Von den 17 Deutschen in der Abteilung waren 5 Nazis, darunter ein SA-Sturmführer. (...)

Auf der MIAG wurden Panzer gebaut. Um die Produktion zu erhöhen, wurde ständig versucht, die Akkordzeiten zu senken. (...)14

In Einbeck verhaftete man am 9. August 1944 im Rahmen der reichsweiten Aktion Aktion Gitter fünf Sozialdemokraten und August Fricke. (Aktion Gitter)

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Literatur und Quellen

Fricke, August (1981): Erinnerungen, Begegnungen, Erfahrungen. Ein Beitrag zur Geschichte der niedersächsischen Arbeiterbewegung. Einbeck: Selbstverlag.

Gefangenenkarteikarte August Fricke: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Karteikarte 33/863.

Gefangenenpersonalakte August Fricke: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 1113.

Gefangenenpersonalakte Karl Thies: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 480.



1Gefangenenpersonalakte August Fricke, S. 28, 19.7.1933 Kassel an Strafgefängnis Hameln – Fricke.

2Ebenda, S. 26, 5.8.1933 Lebenslauf Fricke.

3Ebenda, S. 17

4Ebenda, S. 42, 26.4.1934 Tagesbeobachtung Fricke.

5Ebenda, S. 44, 2.7.1934 Tagesbeobachtung Fricke.

6Ebenda, S. 25, 26.12.33 Einstufungsbescheinigung.

7Gefangenenpersonalakte Karl Thies, S. 57, Vergünstigungen Überzeugungstäter.

8Ebenda, S. 68.

9Gefangenenpersonalakte August Fricke, S. 20, Nachweisung Beschäftigung Fricke.

10Ebenda, S. 46, 25.8.1934 Direktor Strafgefängnis Hameln an Generalstaatsanwalt Kassel.

11Gefangenenkarteikarte August Fricke, S. 1

12Fricke 1981, S. 44.

13Ebenda, S. 55–56.

14Ebenda, S. 56.

Rainer Driever