Lina Annemüller

geb. Finke, wurde am 27.7.1884 in Holzerode geboren. Sie wohnte in Nörten-Hardenberg am Kirchhof. Annemüller war Wärterin in der chirurgischen Klinik Göttingen. Ihr erster Ehemann Heinrich Pape fiel in Rußland 1917. Zwei ihrer Söhne dienten als Soldaten, der eine, Heinrich Pape, wurde als politisch unzuverlässig eingestuft.

Der Zellenleiter Beckmann aus Nörten-Hardenberg meldete am 31. März 1943 eine Führerbeleidigung durch Lina Annemüller:1 Frau Annamüller(...) war bei Frau Minna Reinhardt, Adolf-Hitler-Str. 30, und sah bei ihrem Eintritt in das Zimmer das Führerbild. Hierauf sagte sie zu Frau Reinhardt und in Gegenwart von Frau Anna Haupt(...): „Dass ihr das Beist an der Wand hängen habt.“ Als Beweis für diese tatsächlich gemachte Äußerung gebe ich: Frau Anna Haupt und Frau Minna Reinhardt.2

Minna Reinert, ebenfalls aus Nörten-Hardenberg, wurde als Zeugin vorgeladen. Sie berichtete in ähnlicher Weise: (…) Als Frau Annemüller in das Zimmer kam und das Führerbild erblickte, sagte sie: „Warum habt ihr denn das Beist oder das Schwein da noch hängen“ Ich erwiderte: Das lass man da hängen, denn es hat noch keinem etwas getan.3

Annemüller wurde am 29. April in die Stapo-Außendienststelle Göttingen vorgeladen. Sie blieb in ihrer Aussage bemerkenswert konsequent: Wenn mir vorgehalten wird, dass ich hiermit das Führerbild gemeint hätte, so stimmt dieses nicht. Ich meinte mit der Äußerung das am Fenster hängende Thermometer. Wenn dies als leere Ausrede bezeichnet wird, so bleibe ich trotzdem dabei.4

Die Kreisleitung schrieb in ihrer Einschätzung, dass Frau Annemüller vor der Machtübernahme der KPD nahegestanden hat. Bei einer 1933 vorgenommenen Haussuchung hat man kommunistische Hetzblätter gefunden.5

Am 21. Juli 1943 ging dem Sondergericht Hannover vom Oberstaatsanwalt die Anklageschrift wegen Vergehen gegen § 2 des Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20.12.1934 zu.6 Zweieinhalb Monate später, am 8. Oktober, fand die Hauptverhandlung in der öffentlichen Sitzung des Sondergerichts Hannover statt.7 Das Gericht entsprach dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verurteilte Lina Annemüller zu acht Monaten Gefängnis.8

Am 8. März 1944 wurde Annemüller aus dem Gerichtsgefängnis Göttingen in das Gerichtsgefängnis Hildesheim überführt.9 Ihre Haftzeit wurde für die Zeit vom 28.2. - 27.10.1944 festgelegt.10Nachdem sie einen Hafturlaub bewilligt bekommen hatte, meldete sich Annemüller zum erneuten Strafantritt am 3. November 1944 im Strafgefängnis, Frauenabt. Hannover.11 Von dort wurde sie am 3. Februar 1945 entlassen. 12

Es bleibt zu hoffen, dass der Berufungsausschuss Entnazifizierung Hildesheim mit seiner Bitte an die Staatsanwaltschaft Hannover vom 20. Juni 1949 Erfolg hatte. Er bat um Einsichtnahme in die Akte Annemüller in der Berufungssache des Postschaffners Wilhelm Beckmann aus Nörten-Hardenberg, dem Zellenleiter, der im März 1943 Lina Annemüller denunziert hatte.13



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Quelle:

Sondergerichtssachen Lina Annemüller, Nörten-Hardenberg. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 171a Hannover Acc. 107/83 Nr. 110.



1Sondergerichtssachen Lina Annemüller, S. 3, NSDAP Hannover an Stapo-Stelle Hannover Führerbeleidigung.

2Ebenda, S. 2, 31.3.1943, Protokoll Zellenleiter Willi Beckmann.

3Ebenda, S. 5, Vorgeladen Minna Reinert Nörten-Hardenberg - Sache Annemüller.

4Ebenda, S. 6, 29.4.1943, Außendienststelle Göttingen Vorladung Lina Annemüller.

5Ebenda, S. 10, 7.6.1943 Kreisleitung Northeim an Stapo-Leitstelle Hannover Annemüller.

6Ebenda, S. 15, 21.7.1943, Anklageschrift Oberstaatsanwalt an Sondergericht Hannover Annemüller.

7Ebenda, S. 29, 8.10.1943, öffentliche Sitzung des Sondergerichts, Abt. III, Göttingen Annemüller.

8Ebenda, S. 39. 8.10.1943, Urteil des Sondergericht Abt. III.

9Ebenda, S. Handakten Staatsanwalt 11, 8.3.1944, Landgerichtsgefängnis Göttingen an Staatsanwaltschaft Hannover - Annemüller.

10Ebenda, S. Handakte Staatsanwalt 12, 14.3.1944, Landgerichtsgefängnis Hildesheim - Haft Annemüller.

11Ebenda, S. Handakte Staatsanwalt 17, 23.11.1944, Oberstaatsanwalt Sondergericht an Strafgefängnis -Annemüller Hafturlaub.

12Ebenda, S. Handakte Staatsanwalt 19, 23.1.1945, erneute Einlieferung der Annemüller in Strafgefängnis Hannover.

13Ebenda, S. 41, 20.6.1949, Berufungsausschuss Entnazifizierung Hildesheim an Staatsanwaltschaft Hannover - Annemüller.

Rainer Driever