1934 – Der Aufbau neuer Strukturen

Mit dem Ende des Jahres 1933 pausierte der offene Terror gegen die Mündener Arbeiterschaft. Ihre Organisationen waren zerschlagen, die Funktionäre von KPD, SPD und Gewerkschaften hatten mindestens einen Gefängnisaufenthalt hinter sich. Eine Strategie für den linken Widerstand war notwendig geworden.

Die relative Ruhe des Jahres 1934 war trügerisch. Viele Arbeiter, besonders aus der jüngeren Generation, wollten nicht einfach aufgeben. Das SPD-Mitglied Fritz Michalski erzählte dazu: Wir haben eine Sozialistische Front-Gruppe gehabt, die aber nicht von unseren (...) bis dahin führenden Leuten gemacht wurde, sondern von uns jüngeren Leuten, und durch Verbindung, die wir hatten nach Göttingen und Hannover (…), kriegten (wir) da auch das illegale Material her, was wir verbreitet und verteilt haben. (Interview Michalski, 1977)

Der politisch organisierte Zusammenhalt unter den jüngeren SPD-Leuten beschränkte sich dabei auf Dreiergruppen zur Informationsverbreitung und auf Gespräche im engeren Freundeskreis. Die kleine Gruppe des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) um Karl Gries versuchte vor allem, alte Gewerkschaftsverbindungen konspirativ wiederzubeleben. 1

Die Erfahrungen, vor allem des Jahres 1933, hatten gezeigt, dass illegale Arbeit und Aktionen gegen die neuen Machthaber mit kaum abzuschätzenden Risiken verbunden waren. Das Risiko, die eigene Familie und das persönliche Umfeld Verfolgung und Terror auszusetzen, hatte auch zur Folge, dass eine Trennung des organisierten Widerstandes vom Arbeiteralltag im Wohnviertel erfolgte. 2

Treibende Kraft in der organisierten Widerstandsarbeit waren die Kommunisten. Für die illegale Bezirksleitung in Kassel wurde es aber zunehmend schwieriger, Verbindungen zu einzelnen Unterbezirken oder Ortsgruppen zu halten. Verhaftungen zerstörten immer wieder die mühsam eingerichteten Verbindungskanäle. Zur ersten illegalen Bezirksleitung gehörten aus Münden Heinrich Heep (genannt Horst) und als Instrukteur Wilhelm Schumann.
(StAMa, 165/3886 KPD Bd. II, .533)
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Wilhelm Schumann erinnert sich, dass in weiteren Nacht-und-Nebel-Aktionen die Apparaturen und Materialien, die zur Herstellung der Druckschriften dienten, an neue Stützpunkte verlegt werden mußten, denn die Arbeit sollte und mußte weitergehen. Sie führte dazu, daß sich auf Baustellen, in Betrieben und Werkstätten die Arbeiter und Angestellten unter der berühmten vorgehaltenen Hand meist positiv zum Inhalt der illegalen Publikationen äußerten.4

Die Zuständigkeit für Hann. Münden wechselte von der Stapo-Stelle Hildesheim zu der in Kassel. Bereits Anfang Februar ermittelte sie in Sachen Bezirksleitung und holte dafür Mündener Schutzhäftlinge nach Kassel. (Ringsleben)

Der Kommunist Wilhelm Schumann schrieb 1973 zur Organisation des Jahres 1934, dass (...) die KPD, die Antifa, sowie der ISK (Internat. Sozialistischer Kampfbund) zwar in der Minderheit, aber dennoch der politisch aktivste Teil der Widerstandsbewegung in diesem Stadtteil von Hann. Münden waren. (…) (Es) bildete sich sehr schnell eine antifaschistische Einheitsfront, die in der Folgezeit, und ohne daß es in ihren Reihen zu irgendwelchen weltanschaulichen Differenzen kam, gemeinsame Aktionen gegen die Nazis durchführte. (…) Erst (…) nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 (…) erfolgte Reorganisation der nunmehr in der völligen Illegalität arbeitenden Antifaschistischen Front. Von da an bildeten sich die bereits an anderer Stelle erwähnten Straßen- und Betriebszellenorganisationen mit ihren drei bis fünf Mitgliedern; denn von jetzt an verlangte schon die Solidarität mit den gefangenen Mitkämpfern, den antifaschistischen Kampf gegen das NS-Regime mit allen politischen Mitteln fortzusetzen.

Wie in Hann. Münden selbst, erklärten sich jetzt plötzlich auch in Hermannshagen bisher in der politischen Arbeit völlig unbekannte Menschen bereit, im illegalen Kampf mitzuwirken. So fanden sich solche, die, allen Gefahren trotzend, durch Geldspenden erst die Herstellung und den Druck der kleinen Zeitung “Rote Latüchte” und anderer illegaler Flugschriften ermöglichten, und andere, die für geheime Besprechungen einen separaten Raum in ihren Wohnungen zur Verfügung stellten. (…) Das ging so weit, daß sogar viele nichts dagegen einzuwenden hatten, daß man ihnen in ihren Wohnungen die Fußbodendielen aufriß, unter deren Gefüge dann Funktionäre der Bauarbeiter-Gewerkschaft wichtiges Archiv-Material versenkten (...).

(Im) Frühjahr 1934 kamen dann nach monatelanger Inhaftierung (…) die nach dem 28. Februar 1933 Verhafteten aus dem Konzentrationslager Moringen bei Northeim mit neuen politischen Erfahrungen wieder in ihre Heimat zurück. (…) das Ansehen der ehemaligen KZler bei der Bevölkerung wuchs, und an Stelle einer politischen und auch menschlichen Distanz traten große Wellen der Sympathie und Kameradschaftlichkeit.

Es ist angebracht an dieser Stelle zu erwähnen, daß die Menschen von Hermannshagen zu keiner Zeit den Aufforderungen der Organe der NSDAP nachkamen, die Hochverräter, wie man die Männer des antifaschistischen Widerstandskampfes bezeichnete, der Polizei und Gestapo ans Messer zu liefern. (...)5



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Literatur

Christmann, Gottfried; Kropp, Dieter (1984): Arbeiterbewegung in Hann. Münden von 1918 bis 1936 : (Katalog der Ausstellung "Arbeiterbewegung in Münden von 1869 bis 1945). Göttingen (Göttinger Beiträge zur universitären Erwachsenenbildung / Sonderheft).

Hruska, Margid; Kropp, Dieter; Quest, Thorsten (1993): Münden in der NS-Diktatur: exemplarische Analysen und didaktisch aufbereitete Dokumente zum Thema: Fabrikleben und Alltag im Nationalsozialismus. 2. Aufl. Göttingen: Verl. Die Werkstatt.

Schumann, Wilhelm (1973): Ihr seid den dunklen Weg für uns gegangen … : Skizzen aus dem Widerstand in Hann. Münden 1933 - 1939. Frankfurt/Main: Röderberg-Verl.



1Christmann und Kropp 1984, S. 126.

2Hruska et al. 1993, S. 108.

3Christmann und Kropp 1984, S. 126.

4Schumann 1973, S. 21, 1933-1935 - Organisation: Erhaltung von Druckmöglichkeiten.

5Ebenda, S. 65–67.

Rainer Driever