Dora Neubauer
wurde
am 2.1.1905 in Hannover als Tochter der Familie Siemsen geboren. Am
26.03.1926 heiratete sie in Hann. Münden Carl Neubauer, der aus
einer Mündener Artistenfamilie stammte. Das Ehepaar hatte sechs
Kinder: Die Tochter Lieselotte wurde 1929, der Sohn Hermann 1932, die
Töchter Leni und Ilse 1935 und 1936, die Tochter Margarete 1940
und der Sohn Reinhard 1942 geboren. Zwei von ihnen starben früh.
Doras Mann Carl wurde Ende März 1933 inhaftiert.1
Am
8. Juli 1933 kam es zu einer Flugblattaktion der Mündener
Kommunisten. (...) gegen
22 Uhr wurden kommunistische Flugblätter in verschiedenen
Häusern unter die Tür geschoben oder in den Hausflur
geworfen. Der Inhalt stellt eine Verächtlichmachung der
Regierung dar und hetzt gegen diese in der unerhörtesten Weise.
Festgestellt ist, dass um die angegebene Zeit Frau Neubauer, der
Tischler Scharf und der Arbeiter Böhle durch die hinteren
Strassen eilten.
Am nächsten Tag wurden Haussuchungen bei Mündener
Kommunisten durchgeführt und neben Dora Neubauer noch folgende
Personen verhaftet: Ludwig Risch, Richard Scharf, Hans Böhle,
Hermann Pszolla, Gustav Risch und Heinrich
Bauersachs.2
Die Verhafteten wurden am 10. Juli in das Gerichtsgefängnis
Göttingen überführt.3
Gegen Neubauer, Scharf und Böhle wurde ein Strafverfahren gemäß § 20 der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 4.2.1933 eingeleitet. Das Gerichtsgefängnis Göttingen wurde von der Mündener Polizei unterrichtet, die Gefangenen getrennt zu halten.4
Der
Bericht der Mündener Polizei fiel dementsprechend aus: Frau
Dora Neubauer ist eine der gefährlichsten Kommunisten. Von ihren
im Schreiben erwähnten epileptischen Krämpfen ist bisher
hier nichts bemerkt worden. Wohl ist bekannt, dass sie auf der
Strasse, wo es auch immer sein mag, Personen, die sie nur
einigermaßen kennt, anhält u. mit ihnen politisiert u. auf
die heutigen Verhältnisse schimpft. Genau so, wie sie früher
in erster Reihe mit der Kommune gegen die NSDAP. kämpfte u. ihre
Feindseligkeiten
austrug, so hetzt u. schürte sie bis vor ihrer Festnahme
aus dem Hinterhalt. Ihre Unterbringung in einem Konzentrationslager
wäre dringend erforderlich.5
Neubauer wurde am 4. September 1933 aus dem Gerichtsgefängnis Göttingen nach Moringen überführt.6 Dort wurde sie am 7. August zu der Flugblattverteilung Ende März 33 vernommen. Dora Neubauer gab an: Am 30. März war ich bei Frau Wr. Hohmann in Hann. Münden, Rathausstraße, zu Besuch. Es waren noch folgende Personen anwesend: die Schwestern von Frau Hohmann, Frau Bücker, Frau Pszolla, Frau Bauersachs und der Vater der Frau Hohmann, Herr König und Herr Georg Ringsleben, sämtlich aus Hann. Münden. Im Laufe des Nachmittags kam dann der Arbeiter Ludwig Risch aus Münden auch zu Frau Hohmann in die Wohnung. Gleich darauf stand Ringsleben auf und sagte zu Risch: “Na, schon wieder hier? Ist schon alles gedruckt?” Darauf antwortete Risch: “Ja, die Kasseler haben gleich angefangen, es ist alles fertig." Ich fragte darauf Risch ob er denn in Kassel gewesen sei, worauf Ringsleben (dem) Risch ein Zeichen (zum)Schweigen gab und ich bekam auf meine Frage keine Antwort. Unmittelbar nach der Zeichengabe sagte Ringsleben zu Risch: “Na ja, brings runter und heute abend zwischen 7 und 8 Uhr, wenn die Luft rein ist, pfeifst Du, ich warte hier auf Henner (Heinrich Bauersachs) Ich begab mich darauf zu meiner Wohnung.
Ich nehme an, daß Risch und Ringsleben über die Herkunft der in Hann. Münden verteilten Flugblätter Kenntnis haben.
Da bei mir in meiner Wohnung in Hann. Münden ein Druckapparat gesucht wurde und ich vielleicht in dem Verdacht stehe, Flugblätter hergestellt zu haben, bitte ich um Nachprüfung meiner vorstehenden Angaben und, wenn sich meine Unschuld herausstellt, um Entlassung aus der Schutzhaft.“7
Ringsleben war seit dem 23.5. in Haft, Risch seit dem 10.7. - vielleicht erklärt dieser Umstand die relativ freimütige Aussage der Dora Neubauer.
Ende September vermerkte die Mündener Ortspolizei Positives über Neubauer: Die Ehefrau N. gehörte der Antifa an und beteiligte sich sehr oft an Umzügen dieser Organisation. Bei allen Veranstaltungen war sie diejenige Frau, die am meisten gegen die N.S.D.A.P. hetzte. Ihre Inschutzhaftnahme erfolgte, weil sie in dringendem Verdacht der Verteilung von Flugblättern stand. Es ist anzunehmen, daß sie durch ihre Inschutzhaftnahme von ihrem bisherigen Tun ablassen wird. Ihrer Entlassung steht nichts im Wege.8 Damit wird auch klar, dass die Einleitung eines Strafverfahrens wegen der Flugblattaktion vom 8. Juli – jedenfalls gegen Dora Neubauer - scheiterte. Am 2. Oktober 1933 wurde sie aus der Schutzhaft im Konzentrationslager Moringen entlassen.9
Ab
1940 lebte Dora Neubauer mit ihrer Familie in Göttingen. Ihr
Mann Carl arbeitete für die Organisation
Todt
und verunglückte am 5. August 1944 in Mühldorf/Inn auf
einer Baustelle der Organisation tödlich. Dora Neubauer geriet
unterdessen wegen ihres unangepassten Lebenswandels ins Visier der
Partei. Gerade Instanzen der NSDAP, vor allem aber die Kreisleitung,
fungierten als eine Art „Sittenwächter“. Und dies
umso mehr, wenn die beurteilten Personen dem „linken“
Spektrum zugerechnet wurden. So wurde dem Ortsgruppenleiter gemeldet:
(…)
Zu
bemerken wäre noch, daß Frau Neubauer (...)
zum Milchempfang mehrfach mit rot lackierten Fingernägeln
erschien.10
Vier Tage später, am 24. Juli 1944, berichtete die Kreisleitung, (…) daß sich der Lebenswandel der Frau Neubauer in keiner Form geändert hat. Sie (...) wurde sogar in einer hiesigen Gaststätte wegen ihrem Zigarettenrauchens zurechtgewiesen. (...)11
Diese Beurteilung führte im darauf folgenden Monat dazu, dass Dora Neubauer das gemäß Erlaß des Herrn Staatsministers und Chef der Präsidialkanzlei des Führers und Reichskanzlers vom 30.8.1944 (…) verliehene Ehrenkreuz der deutschen Mutter, 2. Stufe wieder entzogen wurde.12
Dora Neubauer starb am 28.8. 1969 in Göttingen.
_____________________________________________________________________
Quellen:
Politische Beurteilung verschiedener Angelegenheiten und Personen, Buchstaben L-N, Bd. 2. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 310 I Nr. 477.
Schutzhaft und politische Polizei Hann. Münden II. Kreisarchiv Göttingen, LA HMÜ 85.
Sammlung Reinhard Neubauer.
1Auskünfte Reinhard Neubauer. Nach seiner Entlassung aus der Schutzhaft aus dem Konzentrationslager Moringen kehrte Carl Neubauer nach Hann. Münden zurück und arbeitete für die Firma Polensky & Zöllner an der Reichsautobahn-Baustelle Laubach.
2Schutzhaft und politische Polizei Hann. Münden II, S. 16, 10.7.1933 - Ortspolizei Bericht Schutzhaft KPD-Funktionäre.
3Ebenda, S. 20, 11.7.1933 - Einlieferungsformular Dora Neubauer Gerichtsgefängnis Göttingen.
4Ebenda, S. 21, 10.7.1933 - Ortspolizei Münden an Landrat - Einleitung Strafverfahren Neubauer, Scharf, Böhle.
5Ebenda, S. 22, 17.7.1933 - Ortspolizei Münden an Landrat - Sache Dora Neubauer.
6Ebenda, S. 26, 4.9.1933 - Landrat an Lagerkommandant - Unterrichtung Überführung Neubauer.
7Ebenda, S. 24, 7.9.1933 - Vernehmung Dora Neubauer in Moringen.
8Ebenda, S. 27, 26.9.1933 - Ortspolizei Münden - Vermerk Neubauer.
9Ebenda, S. 28, 2.10.1933 - Verpflichtungserklärung Dora Neubauer.
10Politische Beurteilung verschiedener Angelegenheiten und Personen, Buchstaben L-N, Bd. 2, S. 173, 22.7.1944 Hampe OG-Amtsleiter an OG-Leiter Pg. Gerls – Neubauer.
11Ebenda, S. 171, 26.7.1944 Kreisleitung – Neubauer.
12Ebenda, S. 170, 2.9.1944 Reg.Präs. Hildesheim an OB Göttingen - Dora Neubauer.
Rainer Driever