Hans und Paula Leicher
wurde am 13.4.1903 in Naudorf geboren. Er war Buchhändler und wohnte zur Zeit der Machtübertragung in der Königsallee.
Hans Leicher war politisch in der Ortsgruppe der KPD in Göttingen engagiert. Er war Literaturobmann der Ortsgruppe und seit April 1932 als Rechtsberater für den Internationalen Bund der Opfer des Krieges und der Arbeit tätig. Die Leihbibliothek des Bundes bzw. der KPD-Ortsgruppe wurde von ihm verwaltet, sie bestand überwiegend aus seinen eigenen Büchern.1 Ab November 1932 nahm er zudem die Funktion des Vorsitzenden des Bundes wahr. Nach Beobachtungen der Polizei bildete das Büro inzwischen die Zentrale der Göttinger KPD, in der auch der Rote Stürmer auslag.2
Ende Februar 1933 war er noch bei der Funktionärskonferenz des Unterbezirks Göttingen vertreten. Er und seine Frau fungierten außerdem auch als Quartiergeber für den Einbecker Teilnehmer der Konferenz, August Fricke (August Fricke). Bei einer Haussuchung in der Wohnung des Ehepaars am Morgen nach dem Reichstagsbrand konnte sich Fricke verbergen und tauchte dann unter. Hans Leicher wurde im Anschluss an die Durchsuchung festgenommen, kurze Zeit später aber wieder entlassen.3
Die
Schreibmaschine der Leichers wurde bei dieser Gelegenheit
beschlagnahmt.4
Unter dem Eindruck des Geschehenen verließen die Leichers
Göttingen. Die Polizei stufte sie als flüchtig ein und
vermutete, dass die beiden bei der Mutter von Paula Leicher in
Grenzau untergekommen waren (ihr Vater war bereits tot).5
Am 6. Juni wurden in der Wohnung der Leichers in der Königsallee
890
Bücher und Broschüren mit einem geschätzten Wert von
200 RM beschlagnahmt.6
Die
Leichers kehrten Anfang September 1933 nach Göttingen zurück
und wurden umgehend im Polizeigefängnis in Schutzhaft genommen.7
Bei seiner Vernehmung am 4.9. gab Hans Leicher an, dass
die Reise zu den Schwiegereltern in Grenzau auch seine
Lösung von der KPD plausibel machen sollte. In seiner Vernehmung
betonte er, sich in der Zwischenzeit nicht im staatsfeindlichen Sinn
betätigt zu haben und sich auch in Zukunft jeder solchen
Handlung enthalten zu wollen. Zudem gab er an, seine Schwiegermutter
in Grenzau durch seinen Umzug dorthin unterstützen zu wollen.
Weiterhin gab Leicher an, das Motorrad, das die Polizei ebenfalls
im März beschlagnahmen wollte, sei sein Eigentum. Ursprünglich
gehörte es der KPD, Leicher habe es von Theodor Gassmann
übernommen, der ihm noch Geld schuldete.8
In seinem Bericht betonte Krim.Ass. Ippensen zudem, dass Hans und Paula Leicher auf der Vorschlagsliste der KPD zur Stadtverordnetenwahl gestanden hätten. Deswegen wäre ihm eine Betätigung im staatsfeindlichen Sinn(...) zuzutrauen. Seine spätere Unterbringung in einem Konzentrationslager ist daher zu prüfen.9
Eine Nachfrage der Ortspolizei bei dem zuständigen Landrat Unterwesterwald erbrachte eine Bestätigung von Leichers Aussage. Der Landrat schrieb: Beide haben sich während dieser Zeit jeglicher politischen Betätigung enthalten‚ was mir auch von Mitgliedern der NSDAP Grenzau bestätigt worden ist. Sämtliche Geschwister, bezw. deren Ehemänner, gehören der NSDAP an oder stehen dieser sehr nahe.10
Am 29.9. wurden die Leichers wieder aus der Schutzhaft entlassen.11
Die beschlagnahmten 890 Bücher der Leichers waren der größte Einzelposten neben 250 Büchern des Büroangestellten Alfred Bornemann und den 47 beschlagnahmten Büchern aus dem Jugendheim. Leichers Bücher wurde vom Führer des Nationalsozialistischen Studentenbundes (NSDStB) gesichtet und 188 unverdächtige Mappen oder Bücher am 4.11.1933 zurückgegeben.12 Die Überprüfung durch einen Bibliotheksrat der Universität zog sich bis zum Frühjahr 1935 hin. Hierbei gingen anscheinend auch Bücher „verloren“, zu ihnen gehörten Kunstbücher und Zeichnungen.13 Im Juli 1936 waren die als unverdächtig eingestuften Bücher an Leicher zurückgegeben worden, der schon nicht mehr in Göttingen wohnte. Noch einmal über ein Jahr später ging der verbleibende Teil an die Preußische Staatsbibliothek in Berlin.14
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Literatur und Quellen:
Fricke, August (1981): Erinnerungen, Begegnungen, Erfahrungen. Ein Beitrag zur Geschichte der niedersächsischen Arbeiterbewegung. Einbeck: Selbstverlag.
KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 155, Nr. 1a.
KPD Göttingen - Beschlagnahme und Einziehung des kommunistischen Vermögens. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 11.
KPD Göttingen - Buchhändler Hans Leicher. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 155, Nr. 12.
Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik: Schutzhaft. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 2, Bd. 1.
1KPD Göttingen - Buchhändler Hans Leicher, S. unpag. 10, Vorgeführt: Hans Leicher, 4.9.1933.
2KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 64-64v, Ortspolizei Bericht: Internationaler Bund der Opfer des Krieges und der Arbeit, Geschäftsstelle Göttingen, 1.11.1932.
3Fricke 1981, S. 41, 28.2.1933 - Funktionärskonferenz in Göttingen.
4KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 123, Europa-Schreibmaschinen an Ortspolizei Göttingen Schreibmaschine, 7.3.1933.
5KPD Göttingen - Buchhändler Hans Leicher, S. 4, Bericht Ippensen, Motorrad KPD, 8.6.1933.
6KPD Göttingen - Beschlagnahme und Einziehung des kommunistischen Vermögens, S. 155, Formblatt Beschlagnahmung, Bücher Hans Leicher, 6.6.1933.
7Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 264,. Auf Anfrage Regierungspräsident: Schutzhäftlinge im September 1933.
8KPD Göttingen - Buchhändler Hans Leicher, S. 10, Vorgeführt: Hans Leicher, 4.9.1933.
9Ebenda, S. 11, Bericht Ippensen, Ermittlungen Leicher, Motorrad, 11.9.1933.
10Ebenda, S. 20-22, Anfrage Ortspolizei wg. Leicher beim Landrat Unterwesterwald, 14.9.1933.
11Ebenda, S. 23, Verpflichtungsschein Schutzhaft Hans Leicher, 29.9.1933.
12Ebenda, S. 26, Bericht an Reg.Präs. Hildesheim, Bücher-Beschlagnahmungen, 20.12.1933.
13Ebenda, S. 30, Reg.Präs. Hildesheim an Ortspolizei beschlagnahmte Bücher Leicher, 6.4.1935
14Ebenda, S. 62, Ortspolizei an Preußische Staatsbibliothek, Übersendung der Bücher Leichers, 16.12.1937.
Rainer Driever