Ernst Fischer

wurde am 8. Juni 1915 in Göttingen in einer sozialdemokratischen Familie geboren. Seinen Vater, der im Ersten Weltkrieg starb, lernte er nie kennen. Seine Mutter arbeitete als Lagerarbeiterin bei der Firma Ruhstrat. Nach seinem Besuch der Volksschule bis Ostern 1929 absolvierte er eine Lehre als Feinmechaniker bei der Göttinger Firma Ruhstrat. Nach einer Unterbrechung setzte er seine Ausbildung in den Physikalischen Werkstätten in Göttingen vom Sommer 1933 bis zum April 1934 fort. Dort arbeitete er auch ab Mai 1934 für kurze Zeit als Geselle.1

Als Mitglied der kommunistischen Jugend geriet er anscheinend in Konflikt mit der Göttinger Gesellschaft. Dies erklärt auch die Unterbrechung seiner Lehre als Feinmechaniker. Am 15.6.1932 wurde er vom Jugendgericht Göttingen wegen Diebstahls verurteilt und verbrachte drei Wochen im Gefängnis. Nach Verbüßung der Strafe ging Fischer auf Wanderschaft. Ab dem 10.11.1932 wurde Ernst Fischer im Provinzialerziehungsheim untergebracht und Ende Dezember in das Stephansstift in Hannover verlegt.

Im Urteil des Reichskriegsgerichts werden Fischers „linke“ Ambitionen in dieser Zeit hervorgehoben: Über den Studienassessor Dr. Oertel kam er in Kontakt mit der KPD-Ortsgruppe Göttingen und beteiligte sich an deren Aktionen. Der KPD trat er nicht bei, wurde aber Mitglied im KJVD (KJVD). Zudem soll Fischer 1932 an einem kommunistischen Schulungskurs in der Sowjetunion teilgenommen haben.

Nach Ostern wurde er in das zum Stephansstift gehörige Heim Kronsberg in Hannover-Laatzen verlegt. Nach dem Pfingsturlaub kehrte er nicht mehr nach Hannover zurück und verbrachte einen knappen Monat im Provinzialerziehungsheim Göttingen.2 Ende Juni 1933 wurde er zu seinen Eltern entlassen und trat die Fortsetzung seiner Lehre in den physikalischen Werkstätten an.

Nach einer Verurteilung durch das Göttinger Jugendgericht am 15.11.1933 (drei Wochen Gefängnis zur Bewährung wegen Diebstahls) und einer Verhaftung wegen Einbruchsdiebstahls im Sommer 1934 (kurze Haft im Göttinger Gerichtsgefängnis) setzte sich Fischer mit seinem Freund und Komplizen Heinrich Wettig im August in das Saarland ab.3 Im Saarland (unter franz. Verwaltung), einer kommunistischen Hochburg, kamen beide in einem Schlafhaus in Sulzbach unter, das von der SPD unterhalten wurde und politisch Verfolgten und Emigranten offenstand.4

Nach einiger Zeit wurde Fischer verhaftet und im November 1934 wieder nach Göttingen gebracht.

In Göttingen wurden Ermittlungen wegen Hoch- und Landesverrats eingeleitet, der zuständige Staatsanwalt beim Kasseler Oberlandesgericht stellte die Ermittlungen dazu nach einiger Zeit aber ein. In der Vorlage des Oberstaatsanwalts für den Oberreichsanwalt in Berlin werden alle Punkte angesprochen, die man seitens der Anklagebehörden gern für ein Vorgehen gegen Kommunisten versammelte: Auslandsaufenthalt (Saar), dubiose Spionagevorwürfe (Informationen zur Stärke der Reichswehr), Besitz und Verbreitung von staatsfeindlichem Material (Die Junge Garde des KJVD), die Auskunft der Göttinger Ortspolizei, Fischer sei ein übelbeleumdeter Mensch (Diebstahl und kommunistischer Jugendverband) und der Verdacht auf Herstellung und Verbreitung illegaler Schriften in Göttingen.5 Dies alles erwies sich als wenig tragfähig.

Möglicherweise kam gegen Fischer eine ähnliche Taktik zum Tragen, wie sie auch gegen andere Kommunisten angewandt wurde. Das Mittel der Schutzhaft wurde immer wieder gegen Kommunisten benutzt, gegen die ein Anfangsverdacht nicht erhärtet werden konnte. Da juristische Mittel versagten, griffen die Verfolgungsorgane in solchen Fällen gerne auf das Mittel Schutzhaft zurück. Im Falle von Fischer benutzte man eine Art summarischer Anklage.

Ernst Fischer wurde jedenfalls am 5.2.1935, also kurz nach der Einstellung seines Verfahrens wegen Hoch- und Landesverrat, vom Landgericht Göttingen zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis sowie drei Wochen Haft verurteilt. Basis war eine Anklage wegen Einbruchsdiebstahls u.a.m. Die Bedeutung von u.a.m. bleibt unklar, da der Urteilstext noch unbekannt ist. Vom 5.3.1935 bis zum 26.3.1936 saß Fischer seine Strafe im Jugendgefängnis von Neumünster ab.

Nach seiner Entlassung versah er zunächst Arbeitsdienst, arbeitete dann ab Oktober 1936 bei den Deutschen Werken in Kiel. Ein Jahr später, am 4.11.1937, wurde Ernst Fischer zur 2. Kompagnie der I. Marine-Artillerie-Abteilung in Kiel eingezogen. Nach zwei Monaten schikanösen Dienstes, der anscheinend besonders hart ausfiel, weil Fischer stets seine kommunistische Vergangenheit vorgehalten wurde, desertierte Ernst Fischer im Februar 1938. Am 10.6.1938 wurde er deswegen aus der Wehrmacht entlassen.6

Ein halbes Jahr später wurde Fischer beim Versuch der Ausreise in die Niederlande am 14.12.1938 in Aachen verhaftet. Die Ermittlungen dauerten ein Jahr. Dabei wurde von Fischer eine Spionagetätigkeit zugegeben. Nach Kontakten zu einem Offizier des französischen Nachrichtendienstes und der Anwerbung für den sowjetischen Nachrichtendienst hatte sich Fischer vor allem in der Informations- und Materialbeschaffung betätigt. (Detailliert ausgeführt von Dräger, 299-231)

Die Anklageerhebung war im November 1939 komplett, das Urteil gegen Fischer und seinen Mitangeklagten Karl Riem wurde am 21.12.1939 gefällt. Das Reichskriegsgericht befand: Der Angeklagte wird wegen Landesverrats und Fahnenflucht zum Tode und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Daneben wird auf dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und auf Wehrunwürdigkeit erkannt.7 Im Urteil wurde bewusst auf die Anwendung eines dem Fall angemessenen Paragrafen verzichtet. Fischers Spionagetätigkeit war relativ erfolglos, „echte militärische Geheimnisse“ hatte er nicht in Erfahrung bringen können. Die Richter ignorierten diesen Umstand bewusst.8 (Detailliert ausgeführt von Dräger, 232)

Am 23. Januar 1940 wurde Fischer in das Gefängnis Plötzensee in Berlin eingeliefert. Dort verbrachte er kaum zwei Wochen, bis er am 3. Februar 1940 enthauptet wurde. Die Hinrichtung durch die Guillotine wurde in der Akte lakonisch als Austritt vermerkt.9 Das Strafgefängnis diente als zentrale Hinrichtungsstätte für Verurteilte des Volksgerichtshof und anderer politischer Sondergerichte, also der Ermordung von Regimegegnern. Dort wurden von 1933 bis zum Kriegsende 2891 Todesurteile vollstreckt, z.B. an Mitgliedern der Roten Kapelle oder des 20. Juli, annähernd die Hälfte der Opfer stammte allerdings nicht aus Deutschland.



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Literatur und Quellen

Dräger, Marco: Unbekannt, unerwünscht und unvergessen? Anmerkungen zu einer historischen Spurensuche zum kommunistischen Widerstandskämpfer Ernst Fischer, zu seinem Verfahren vor dem Reichskriegsgericht und zu seiner Gedenktafel. In: Göttinger Jahrbuch, 62 (2014), S. 221–242.

Fischer, Ernst: Material Mahntafel. Stadtarchiv Göttingen, AZ 3.5.01.3.1.



1Dräger, S. 227.

2Ebenda, S. 228.

3Ebenda, S. 229.

4Fischer, S. 2, 19.12.1934 - Oberstaatsanwalt Göttingen - Ernst Fischer, A.V. vom 2.3.1920 – I.4415.

5Ebenda, S. 2, 19.12.1934 - Oberstaatsanwalt Göttingen - Ernst Fischer.

6Dräger, S. 229.

7Fischer, S. 3, Urteil des Reichskriegsgerichts (Oberreichskriegsanwalt Strafprozessliste Nr. 253/38) vom 21.12.1939.

8Dräger, S. 232.

9Fischer, S. 4, 23.1.1940 - Einlieferung Ernst Fischers in das Gefängnis Plötzensee in Berlin, Kopie aus BDC.