Arbeitslosigkeit
Es ist geradezu eine Signatur des nationalsozialistischen Umbaus der deutschen Gesellschaft, dass politisch unliebsame Personen ihre Arbeit verloren.
Bereits im März begannen die Entlassungen von SPD-Mitgliedern aus den städtischen Verwaltungen, ab dem 7. April auf der Basis des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. (Gesetz PDF) Diese Kündigungen trafen in Einbeck im April den Schlachthofkassierer sowie Angestellte in Krankenhaus, Stadtgärtnerei, Schwimmbad, Gaswerk und Wasserwerk. Anfang Mai 1933 wurden noch einmal 13 Arbeiter städtischer Betriebe entlassen.1
Im Zuge dieser Entlassungswelle verloren 45 Personen der Stadtverwaltung Northeim (25%) ihre Arbeitsstelle. Betroffen waren Arbeiter, Angestellte und Beamte, z.B. der Gasanstalt oder des städtischen Freibads. Ende April 1933 wurden noch einmal 15 Arbeiter des Bauhofs, sieben der Brauerei und vier der Gasanstalt entlassen. Ebenso traf es sieben Betriebsratsmitglieder der Freien Gewerkschaften, Anfang Mai die Vorstands- und Ausschussmitglieder der AOK.2 Die Begründung, die man zur Entlassung zu hören bekam, war: Nach Ihrer früheren politischen Betätigung bieten Sie keine Gewähr dafür, daß Sie den nationalen Staat bei jeder Gelegenheit uneingeschränkt unterstützen werden.3
In
Göttingen verlor innerhalb der städtischen Verwaltung
zunächst nur Polizeidirektor Paul Warmbold seinen Posten, er
wurde am 30.3.1933 von SS Sturmbannführer Albert Gnade
abgelöst.4
Besondere
Vorsicht ließ man bei der Entlassung eines Arbeiters der
Göttinger Gaswerke walten. Laut einer Denunziation wollte er vor
seinem Weggang noch etwas in die Wege leiten, wodurch das
Gaswerk noch lange an ihn denken
würde.
Durch die Kreisleitung aufgefordert, nahm die Ortspolizei den
Arbeiter in Schutzhaft.5
In
den Gemeinden kümmerte sich häufig die NSDAP-Ortsgruppe um
die Meldung
von Marxisten in gemeindlichen Ämtern an
die Kreisleitung der Partei. Dies konnte Forstaufseher,
Rechnungsführer, Schiedsmänner und Kirchenvorstände
betreffen, wie in
der Meldung zu Großlengden im April 1933.6
In Grone wurden Ende April gleich alle Gemeindeangestellten
entlassen.7
Bei
der Reichsbahn (im Besitz der Deutschen
Reichsbahn-Gesellschaft)
trafen Entlassungen vor allem die Mitglieder des Einheitsverbands
der Eisenbahner Deutschlands
(EdED). Ein Göttinger Zeitzeuge erinnerte sich: Im
Ausbesserungswerk wurden am 31.3.1933 vier Kollegen fristlos
entlassen. Sie erhielten vier Wochen keine Arbeitslosenunterstützung.
Diesen Kollegen folgten am 7.7. zum 21.7. 40 und am 8.8. zum 22.8.
weitere 20 Kollegen. (...) Die Entlassenen waren ohne Ausnahme
Mitglieder des Einheitsverbandes. Den Kollegen, die in Arbeit
blieben, wurde das Sprechen mit den Entlassenen untersagt.8
Ein Pfleger der Landes Heil- und Pflegeanstalt in Göttingen wurde 1933 wegen seiner früheren Mitgliedschaft in der SPD denunziert, zudem wurde ihm KPD-Nähe nachgesagt. Die Ortspolizei ordnete ihn der SPD zu und empfahl seine Entlassung, da der Pfleger politisch unzuverlässig sei und in seiner Stellung nicht rückhaltlos für den neuen Staat eintreten würde. Die Gauleitung stimmte im August 1933 zu, ihn in den Ruhestand zu versetzen.9 (Entlassung Harzig PDF)
Die
Entlassungen in den städtischen Institutionen sind meist
dokumentiert. Dazu kommen noch Entlassungen im Geist des
vorauseilenden Gehorsams (dafür prägte sich der Ausdruck:
dem
Führer entgegenarbeiten)
in Betrieben und Fabriken. Nimmt
man die Genossen hinzu, die ihre Arbeitsstellen in den Institutionen
der Arbeiterbewegung, wie z. B. den Zeitungen, Konsumgenossenschaften
oder Gewerkschaften, verloren hatten, so ergibt dies eine große
Anzahl von Menschen, die ihre Existenzgrundlage verloren hatten.
Verstärkt wurde dies durch die Probleme der Schutzhäftlinge,
die ja per definitionem aus politischen Gründen in Haft saßen
und deswegen Probleme bekamen, eine Arbeit zu finden. Zwar betonte
das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin anlässlich der
Weihnachtsamnestie 1934: Die
entlassenen Schutzhäftlinge sollen den Weg in die
Volksgemeinschaft zurück finden. Nur solche Häftlinge sind
entlassen worden, von denen man annehmen kann, dass sie sich von
ihren früheren marxistischen
Führern lossagen. Die Entlassenen sollen als vollgültige
Volksgenossen behandelt werden. (…)
Die
Schutzhaft, auch in einem Konzentrationslager, sollte nicht als Grund
für eine Nichteinstellung eines Bewerbers dienen.10
Die
Realität sah anders aus. Friedrich Vogt (Friedrich
Vogt),
Kommunist aus Nörten-Hardenberg, 1933-1934 in Haft, versuchte
nach seiner Haftentlassung in Göttingen Arbeit zu bekommen. Er
erinnerte sich an seine Arbeitssuche: Vorne
bei den Pförtnern mußte man bereits einen Fragebogen
ausfüllen, auf dem auch nach der politischen Einstellung gefragt
wurde. Ich war vorbestraft, denn ich hatte meine Zeit im
Konzentrationslager absitzen müssen. Als ich fragte, ob ich dies
angeben müsse, hat man mir gesagt, ich brauchte gar nicht erst
weiterzuschreiben. Sie zerrissen den Bogen und warfen ihn in den
Papierkorb. Man kam in einen Göttinger Betrieb als politisch
Vorbestrafter nicht hinein.11
Arbeit fand Vogt schließlich im Aluminiumwerk (ALCAN).
In
den Quellen erscheinen die Entlassenen als Hilfsarbeiter (z.B.
Wilhelm Schumann, KPD Hann. Münden, oder Oskar Schmitt, ISK
Göttingen, für das Jahr 1933), Arbeiter in einem Steinbruch
(die Belegschaft eines Steinbruchs bei Hann. Münden bestand fast
ausschließlich aus Arbeitern aus dem Stadtteil Hermannshagen,
die laut Polizeibericht ganz
scharf links eingestellt
waren.12)
oder verrichteten Notstandsarbeiten (Willi Franke, KPD
Nörten-Hardenberg, Hugo Dornieden und August Strasen,
KPD-Göttingen oder Ludwig
Fürchtenicht,
ISK Göttingen).
Notstandsarbeiten wurden häufig an Personen aus dem linken Milieu vergeben. Die Stapo-Stelle berichtete für den Juni 1934: Bei einer Schlußfeier von Notstandsarbeiten im Kreise Einbeck, zu der der Kreisbetriebszellenobmann ausdrücklich geladen war, spielte ein Arbeiter auf der Ziehharmonika das Lied „Wir sind die Arbeitsmänner des Proletariats“. Eine Anzahl der Anwesenden sang das Lied mit. Der Kreisbetriebszellenobmann war vorher bereits in seiner Rede mehrfach unterbrochen worden. (...).13
Eine andere Möglichkeit war das Wandergewerbe. Der Buchdrucker Fritz Körber verdiente sein Geld nach seiner Entlassung bei der Göttinger Zeitung mit einem mobilem Butter- und Käsehandel, sein ISK-Kollege Fritz Schmalz war ab 1933 als Textilvertreter unterwegs. Wilhelm Schmalstieg (Zeugen Jehovas Wilhelm Schmalstieg) arbeitete nach seiner Entlassung durch die Reichsbahn als Staubsaugervertreter bei der Firma Vorwerk & Co. In seiner Kolonne fanden sich u.a. einige Sozialdemokraten, die ebenfalls ihre Arbeit verloren hatten, sowie Schmalstiegs Glaubensbruder Gerhard Oltmanns.14 Der Stapo-Stelle Hannover war dies auch schon aufgefallen. In Ihrem Bericht für den März 1934 ist zu lesen: Es ist weiter festgestellt worden, daß sich einige der früheren aktivsten Bibelforscher in der letzten Zeit Wandergewerbescheine haben ausstellen lassen.15
Regierungspräsident Muhs fragte im Juli 1933 explizit nach dem Verbleib von SPD und KPD-Schutzhäftlingen. Die Ortspolizei sollte ermitteln, ob und gegebenenfalls welche ehemaligen Gewerkschaftssekretäre oder Funktionäre der SPD oder KPD (…) die Erteilung eines Wandergewerbescheines beantragt haben. Besteht der Verdacht, daß die Antragsteller den Antrag gestellt haben, um sich bei Ausübung des Wandergewerbes staatsfeindlich zu betätigen?16
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Literatur und Quellen
Allen, William S. (1966): „Das haben wir nicht gewollt!“: die nationalsozialistische Machtergreifung in einer Kleinstadt 1930 - 1935. Gütersloh: Mohn.
Augenzeugenbefragung Friedrich Vogt (13.01.1977). Stadtarchiv Göttingen, Dep. 77 I, Nr. 98.
Brinckmann, Ilse (1987): Dokumentation zur Geschichte der Stadt Einbeck, 1918 - 1945: ein chronologischer Überblick. Einbeck.
Fricke, August (1981): Erinnerungen, Begegnungen, Erfahrungen. Ein Beitrag zur Geschichte der niedersächsischen Arbeiterbewegung. Einbeck: Selbstverlag.
GroßLengden - Sattenhausen. Kreisarchiv Göttingen, LK GÖ 855.
Hruska, Margid; Kropp, Dieter; Quest, Thorsten (1993): Münden in der NS-Diktatur: Exemplarische Analysen und didaktisch aufbereitete Dokumente zum Thema: Fabrikleben und Alltag im Nationalsozialismus. 2. Aufl. Göttingen: Verlag Die Werkstatt.
Just, Ekkehard (1992): Northeim 1848 - 1948: der lange Weg zu Freiheit und Demokratie. Northeim: Stadt Northeim (Abhandlungen und Studien aus dem Stadtarchiv Northeim / Stadtarchiv Northeim).
Lebenslauf Wilhelm Schmalstieg: Jehovas Zeugen in Göttingen. Jehovas Zeugen, Geschichtsarchiv, Selters/TS.
Mlynek, Klaus (1986): Gestapo Hannover meldet--. Polizei- und Regierungsberichte für das mittlere und südliche Niedersachsen zwischen 1933 und 1937. Hildesheim: A. Lax (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXIX, Niedersachsen 1933-1945, Bd. 1).
Reiter, Raimond (1998): Denunziationen im „Dritten Reich“ im Kreis Göttingen. In: Göttinger Jahrbuch (46), S. 127–137.
Schutz des deutschen Volkes (Schutzhaft): Schutzhaft, Haussuchungen, Notverordnungen. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 1, Bd. 2.
Siedbürger, Günther (1995): Die Lokhalle und ihre Eisenbahner: Werksgeschichte und Arbeiterkultur in Göttingen 1855 - 1945. Göttingen: Schmerse.
Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik: Schutzhaft. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 2, Bd. 1.
1Brinckmann 1987, S. 47-48.
2Just 1992, S. 195, 27.4. und 5.5.1933 - Northeimer Neueste Nachrichten.
3Allen 1966, S. 192–193.
4GZ 31.3.1933: Kurzmeldung über die Berufung Gnades zum Polizeidirektor.
5Reiter 1998, S. 129, Juni 1933 - Entlassung Gaswerke.
6Groß Lengden - Sattenhausen, S. 11, 3.7.4.1933 - NSDAP-Ortsgruppe Großlengden - Meldung Marxisten.
7Göttinger Zeitung, 28.4.1933.
8Siedbürger 1995, S. 116, 31.3.1933 - Entlassung politisch unliebsamer Arbeiter.
9Reiter 1998, S. 133, März 1933 - Pfleger in Landes Heil- und Pflegeanstalt.
10Schutz des deutschen Volkes (Schutzhaft), S. 69, Gestapa Berlin, 5. Januar 1934, Weihnachtsamnestie.
11Augenzeugenbefragung Friedrich Vogt 13.01.1977, S. 1.
12Hruska et al. 1993, S. 104.
13Mlynek 1986, S. 169, Lagebericht der Staatspolizeistelle Hannover an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat Juni 1934 / 4. Juli 1934, Nds. HStAH: Hann. 180 Hannover Nr. 798, f. 238–248.
14Lebenslauf Wilhelm Schmalstieg, S. 8.
15Mlynek 1986, S. 166, Lagebericht der Staatspolizeistelle Hannover an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat März 1934 / 4. Juni 1934, Nds. HStAH: Hann. 180 Hannover Nr. 798, f. 218–236.
16Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 243, Anfrage Regierungspräsident, 5.7.1933.
Rainer Driever