Veröffentlichungen des Stadtarchivs Göttingen

Göttinger Straßennamen / Gerd Tamke, Rainer Driever . - 3., neu überarbeitete, wesentlich erweiterte Auflage - Göttingen, 2012. - 309 S. . - (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Göttingen ; 2)

Die dritte Auflage ist erstmals in elektronischer Form erschienen und steht als Online-Ausgabe kostenlos zur Verfügung.

Göttinger Straßennamen

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Vorwort
Straßennamen, d. h. die Benennung von Straßen, Plätzen und Wegen, gibt es wahrscheinlich schon so lange, wie es menschliche Siedlungen gibt. Historisch greifbar werden solche Namen wohl erstmals für die Städte der griechisch-römischen Antike, wobei sich die damaligen Bezeichnungen auf die religiöse, politische, wirtschaftliche und militärische Funktion oder auf die topografischen Besonderheiten der Straßen bezogen. Daran änderte sich auch im europäischen Mittelalter wenig.

Die Straßen des mittelalterlichen Göttingens sind dafür ein gutes Beispiel. Da gibt es den Markt und die Jüdenstraße, die Burgstraße und die Barfüßerstraße, die Weender und die Lange Geismarstraße. Die Beispiele Karspüle und Masch verweisen auf die Nähe der Straßenbezeichnungen zu den Flurnamen. Wer sich im übrigen spätestens jetzt verwundert fragt, was diese Namen denn bedeuten mögen, dem geben „Die Göttinger Straßennamen“ erschöpfende Auskunft.

Zwar haben einzelne Straßen im Laufe der Zeit ihre Bezeichnung gewechselt, vereinzelt kamen auch neue Straßen oder Plätze mit jeweils eigenen Namen hinzu. Eine grundlegende Veränderung setzte jedoch erst im Zuge der Industrialisierung seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. Wie die meisten Städte in Deutschland sprengte jetzt auch Göttingen seine durch den Wall markierte mittelalterliche Grenze und breitete sich rasch in das Umland aus. Neue Stadtviertel wurden angelegt, neue Straßen vermessen und gebaut.

Erstmals in der Geschichte ergab sich jetzt die Notwendigkeit, innerhalb kurzer Zeit viele Straßen und Plätze neu zu benennen. Die Entscheidungshoheit darüber fiel wie selbstverständlich der Stadtobrigkeit zu. Als Fundus, aus dem diese die Namen schöpfte, setzten sich schnell die Flurbezeichnungen und die Namen bedeutender oder prominenter Persönlichkeiten durch. Vor allem durch die Benennung nach Personen luden die Straßennamen sich nun plötzlich mit einer ganz neuen kulturellen und im engeren Sinne politischen Bedeutung auf. Zwei der frühesten Benennungen dieser Art können als Beispiel dienen: die Bürgerstraße, benannt 1864 nach dem Dichter Gottfried August Bürger, und die Bertheaustraße, benannt 1883 nach Ernst Bertheau, Theologieprofessor und enger Vertrauter von Oberbürgermeister Georg Merkel.

Die Benennung von Straßen und Plätzen bot jetzt die Möglichkeit, ein kulturelles oder politisches Zeichen zu setzen. Vor dem Hintergrund der tiefgreifenden politischen und kulturellen Umbrüche im 20. Jahrhundert verwundert es nicht, dass sich nun ein weiteres neues Phänomen beobachten lässt: die Umbenennung von Straßen. Besonders radikal bedienten sich die Nationalsozialisten dieses Instruments: Unter ihrer Herrschaft wurde aus dem Theaterplatz der Adolf-Hitler-Platz und aus der Weender Straße die Straße der SA. Nach 1945 wurden diese Umbenennungen wieder rückgängig gemacht.

Die Benennung von Straßen nach Persönlichkeiten steht jedoch auch für eine Bewertung aus Sicht der jeweiligen Zeit, die im Nachhinein zuweilen Zweifel aufwirft. Auch mit diesem Thema setzt sich der vorliegende Band aktiv auseinander und leistet einen qualifizierten Diskussionsbeitrag.

Auch heute noch sind Straßennamen ein wichtiges Mittel, gesellschaftlich anerkannte Personen zu ehren und so zugleich das Gesicht einer Stadt zu prägen. In der Benennung von Straßen findet das Selbstverständnis einer Bürgerschaft seinen Ausdruck. Umso größer ist der Dank, den wir Herrn Gerd Tamke und Herrn Rainer Driever schulden, die die vorliegende Publikation „Die Göttinger Straßennamen“ erarbeitet haben. Sie haben damit nicht nur ein unverzichtbares Nachschlagewerk für jeden an der Göttinger Geschichte Interessierten geschaffen. Die „Göttinger Straßennamen“ eröffnen darüber hinaus faszinierende Einblicke in kulturelle Prozesse und politische Umbrüche seit dem ausgehenden 19.Jahrundert.

Dr. Dagmar Schlapeit-Beck
Dezernentin für Kultur und Soziales


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