Stationen der Stadtgeschichte

1772 - Gründung des "Göttinger Hains"

"[Wir] gingen noch des Abends nach einem nahgelegnen Dorfe. Der Abend war außerordentlich heiter, und der Mond voll. Wir überließen uns ganz den Empfindungen der schönen Natur. Wir aßen in einer Bauerhütte eine Milch, und begaben uns darauf ins freye Feld. Hier fanden wir einen kleinen Eichengrund, und sogleich fiel uns allen ein, den Bund der Freundschaft unter diesen heiligen Bäumen zu schwören. Der Göttinger Dichterbund. G. A. Bürger, seine Leonore vortragend (Kupferstich, 19. Jahrhundert) Wir umkränzten die Hüte mit Eichenlaub, legten sie unter den Baum, und faßten uns alle bey den Händen, und tanzten so um den eingeschloßenen Stamm herum; riefen den Mond und die Sterne zu Zeugen unseres Bundes an, und versprachen uns eine ewige Freundschaft."

Der aus heutiger Sicht leicht befremdliche Vorgang, den Johann Heinrich Voß mit begeisterten Worten beschreibt, fand am 12. September 1772 wohl in der Weender Feldmark statt und kennzeichnet ein wichtiges Datum der deutschen Literaturgeschichte: Die Gründung des "Göttinger Hains". Die Mitglieder dieses Bundes, neben Voß vor allem Ludewig Christoph Heinrich Hölty und die Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, waren als Dichter des "Sturm und Drang" geprägt von Empfindsamkeit, Naturschwärmerei und nationalem Pathos. Dass sich der Bund in Göttingen zusammenfand, war mehr als ein Zufall. Zog doch die berühmte Universität begabte junge Menschen aus ganz Deutschland an, und zugleich bot die hier besonders gepflegte vernunfts- und sachorientierte Philosophie der Aufklärung schwärmerischen Geistern eine breite Angriffsfläche.

Der "ewige" Treueschwur übrigens teilte das Schicksal aller derartiger Gelöbnisse: Bereits drei Jahre später war der "Hainbund" wieder zerbrochen.

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