Georg Kolle

wurde am 25.1.1890 in Einbeck geboren. Nach seiner Lehre als Maler wechselte er seinen Beruf. In seinem Wehrpass wird er 1912 als Mechaniker geführt.

Seinen Wehrdienst leistete er in der 10. Kompanie des Braunschweigischen Inf.Reg. No. 92. Ab dem 6. August 1914 diente er bis zum Herbst in Frankreich, ab 1915 dann im Osten. Er wurde bei Gefechten am San am 17. Mai 1915 verwundet und wechselte im Mai 1916 in die Armeereserve, entlassen wurde Kolle erst im Oktober 1919. Durch seine Verwundung blieb ein inoperabler Splitter im Körper zurück, der ihm zeitlebens immer wieder starke Schmerzen verursachte.1

Georg Kolle heiratete am 20. Mai 1920 Alwine Habermann aus Zellerfeld. Ihre beiden Töchter Ingeborg und Irmgard wurden 1924 und 1929 geboren. Die Familie Kolle wohnte zunächst in der Sedanstraße (heute: Leibnizstraße), ab 1923 in der Karspüle und ab 1926 in der Geismarlandstraße. Kolle arbeitete bei der Firma Ruhstrat in der Schiebewiderstand-Fertigung, ab 1922 machte er sich selbständig.

Ab 1930 betrieb Georg Kolle eine Werkstatt für elektrische Widerstände in der Reinholdstraße 5. Er entwickelte dort eine Verbesserung der Schieber, die er patentieren ließ. Eine gerichtliche Auseinandersetzung mit Ruhstrat, die diese Verbesserung kopiert hatte, gewann er.
1934 siedelte die Familie von der Geismarlandstraße in die Bertheaustr. 13 um. Dort gründete Alwine Kolle mit den Mitteln der Ruhstrat'schen Entschädigungszahlung ein Textilgeschäft. Bereits einige Jahre zuvor hatte die Familie in dem Haus eine Dosenschließerei eingerichtet. Das Gelände nördlich der Bertheaustraße beherbergte zu dieser Zeit Schrebergärten, in denen Früchte und Gemüse angebaut wurden. Die Ernte wurde in Dosen für den Winter dauerhaft gemacht, die von den Kolles verschlossen wurden.
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Ab 1939 geriet Georg Kolle in das Visier der nationalsozialistischen Strafverfolgung. Im Herbst des Jahres wurde er wegen Widerstands, Beleidigung und falscher Anschuldigung zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt. Er verbüßte diese Strafe bis zum 5 .Januar 1940.3

Im Oktober 1939 berichtete die Kreisleitung Göttingen über den mißliebigen Volksgenossen: Kolle sei (…) wegen Zahlungsrückständen aus DAF und NSKOV ausgeschlossen. (…) Vor der Machtübernahme war er Anhänger der KPD. und ist auch gegnerisch hervorgetreten. (…) Kolle gilt in seiner Ortsgruppe als der schlechteste Volksgenosse, seine voreingenommene Einstellung zum heutigen Staat ist allgemein bekannt.4

Nach seiner Strafverbüßung im Januar 1940 blieb Kolle im Gerichtsgefängnis Göttingen inhaftiert. Gegen ihn war am 30. Dezember 1939 ein Haftbefehl des Sondergerichts Hannover ergangen, der ihm Verbrechen gegen § 1 der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen zur Last legte (Hören ausländischer Sender).5

Am 16. März 1940 wurde dieser, auch wieder vom Sondergericht Hannover, modifiziert: Kolle wurde beschuldigt, im Herbst 1939 in Göttingen gehässigte, hetzerische und von niedriger Gesinnung zeugende Aeusserungen über leitende Persönlichkeiten des Staates und der NSDAP, über ihre Anordnungen und die von ihnen geschaffenen Einrichtungen gemacht zu haben – eine Anschuldigung, die im Wortlaut dem Heimtückegesetz von 1934 folgte.6

In einem Prozess vor dem Sondergericht Hannover wurde er daraufhin am 26. Juli 1940 wegen Vergehen gegen den § 2 des Heimtückegesetzes zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt. In der Urteilsbegründung ist zu lesen: Er hatte außer mehreren anderen abfälligen Äusserungen im September 1939 auf die Frage eines 14jährigen Jungen, was er in seiner Werkstatt herstelle, geantwortet: Ich mache Bomben. Wenn Hitler nicht ruhig ist, bekommt er sie auf den Kopf. Nach Verbüßung seiner Strafe unter Anrechnung der Untersuchungshaft Ende Dezember 1940 wurde er von der Stapo-Außendienststelle Göttingen eindringlich verwarnt.7

Diese verfügte am 16. September 1942 seine Festnahme. Nach seiner vorläufigen Inhaftierung im Polizeigefängnis wurde er nach einem Geständnis in das Gerichtsgefängnis eingeliefert. Als Haftgrund wurde angegeben, dass Kolle anderen Personen gegenüber seit Monaten hetzerische und von niederträchtiger Gesinnung zeugende Äusserungen getan hätte. Damit lag ein erneutes Vergehen gegen das Heimtückegesetz vor.8

Spätestens Anfang 1943 wurde Kolle zur Beobachtung in die Landes-Heil-und-Pflegeanstalt Hildesheim überführt und wartete ab dem 2. Februar 1943 im Gerichtsgefängnis Hildesheim auf seinen Prozess.9 Seine Verteidigung stellte im Vorfeld des Prozesses den Antrag, Kolle auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen. Das Gutachten ergab, dass Kolle nicht geistesgestört, aber als ein Sonderling zu betrachten sei.10

Das Sondergericht, Abt. III, für den Oberlandesgerichtsbezirk Celle beim Landgericht Hannover verurteilte Georg Kolle am 13. Mai 1943 wegen hetzerischer und gehässiger Äusserungen über die Politik des Führers und die deutsche Berichterstattung zu zwei Jahren Gefängnis.

In der Urteilsbegründung heißt es: (…) Bereits im Sommer 1941 liess er sich wieder zu abfälligen Äusserungen hinreissen. (…) Der Zeuge meinte, es kämen auch wieder bessere Zeiten. Darauf erwiderte der Angeklagte: „Das werden Sie nicht mehr erleben, es sei dann, dass wir kapitulieren.“ Zum Ostfeldzug äußerte er sich „Einen Menschen im Nachthemd zu überfallen ist eine Kleinigkeit.“ (…) (Zudem ging es um eine Äußerung Kolles 1942 in Holzerode, RD) Nachdem er dann behauptet hatte, dass die Verluste der in Holzerode Eingezogenen in zwei Jahren von 5 auf 50 wachsen würden, sagte er, dass er nur für Gerechtigkeit wäre und die gäbe es nur in Rußland. (…) Der Angeklagte kann sich mit seiner Verteidigung nicht von seiner Schuld befreien. Es liegt vor: fortgesetzte Handlung, böswillig.11

Kolle wurde etwas über einen Monat nach seiner Verhandlung vor dem Sondergericht Hannover am 24. Juni 1943 in das Strafgefängnis Wolfenbüttel eingeliefert. 12

Auch auf einem anderen Gebiet geriet Kolle in Konflikt mit dem NS-Staat. Auf den August 1943 datiert eine Anklageschrift gegen ihn und seine Frau Alwine sowie einen weiteren Göttinger wegen Kriegswirtschaftsverbrechen.13 Dabei ging es um die Beschaffung von Deckeln für die Dosenschließerei. Am 7. Oktober 1943 kam es deswegen zum Prozess vor dem Landgericht Göttingen. Das Urteil wurde von Rechtsanwalt Smend aus Göttingen, Kolles Verteidiger, angefochten. Darüber beschloss das Reichsgericht Leipzig im Dezember eine Berichtigung in der Konstruktion des Urteils: Kolle habe im Bezug von Konservendosendeckeln Tauschwaren gefordert. Zudem habe die Familie Kolle bezugsbeschränkte Erzeugnisse ohne Bezugeberechtigung zu beziehen versucht. Das Urteil von sechs Monaten wurde durch das Reichsgericht bestätigt.14

Ein erneutes Urteil des Sondergerichts Hannover vom 4. April 1944 fügte dem ursprünglichen Strafmaß noch einmal vier Monate hinzu, sodass es sich nun auf zwei Jahre und 4 Monate belief. Gerechnet vom Datum seiner Verhaftung am 16. September 1942 wurde Kolle am 16. Januar 1945 entlassen.15

Bei oder kurz nach seiner Haftentlassung wurde er von der Gestapo in das Arbeitserziehungslager Lahde bei Minden überführt. Die Lagerhäftlinge arbeiteten auf der Großbaustelle eines Kraftwerks und einer Staustufe der Weser. Das Lager war durchschnittlich mit 900 bis 1000 Häftlingen belegt, von denen der überwiegende Teil ausländische Zwangsarbeiter waren. Das von der Gestapo geleitete Lager galt als besonders brutal, pro Monat kam es zu durchschnittlich 30 Todesopfern.

Am 1. April 1945 wurde das Lager aufgelöst. Nach Massenerschießungen auf dem Ausländerfriedhof in Bierde und der Erhängung von 17 Häftlingen kam es zu drei Transporten: einer ging in das KZ Neuengamme, ein zweiter endete mit erneuten Massenerschießungen auf dem Friedhof in Bierde und auf dem dritten wurden Häftlinge nach dem Seelhorster Friedhof in Hannover geführt, wo die Wachmannschaften sie erschossen. Auf dem Weg nach Hannover wurden drei Häftlinge ermordet.16

Zu diesen gehörte auch Georg Kolle. Aufgrund starker Schmerzen durch seine Kriegsverletzung konnte er nicht weiter gehen und wurde von der Wachmannschaft ermordet. Ein Mithäftling aus dem AEL Lahde, der Göttinger Kinobesitzer Ernst Heidelberg, berichtete dessen Ehefrau Alwine Kolle vom Tod ihres Mannes auf dem Marsch nach Hannover.17 Der Mitgefangene William Kohler wandte sich im März 1946 an die Witwe (siehe Brief).



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Quellen:

Sondergerichtssachen Georg Kolle Göttingen. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 171a Hannover Acc. 107/83 Nr. 172.

Sammlung Michael Bolland, Sohn von Irmgard Bolland, der Tochter von Georg und Alwine Kolle.

Literatur:

Julia Beese-Kubba (2010): Arbeitserziehungslager und Arbeitskräftepolitik im nationalsozialistischen Deutschland: Das Beispiel Lahde mit dem Zweiglager Steinbergen. Diss. Osnabrück 2010.

1Wehrpass Georg Kolle, Sammlung Bolland sowie Auskunft Michael Bolland.

2Auskunft Michael Bolland.

3Sondergerichtssachen Georg Kolle Göttingen, S. 2, 13.5.1943, Urteil Sondergericht, Abt. III, für den Oberlandesgerichtsbezirk Celle beim Landgericht Hannover.

4Ebenda, S. 28, 2.10.1939, Kreisleitung an Stapo-Stelle Hildesheim – Kolle.

5Beschluss in der Strafsache 6 S.Js. 1187/39, 12.01.1940, Sondergericht Hannover, Ablehnung der Beschwerde Kolles gegen den Haftbefehl, Sammlung Bolland.

6Haftbefehl für Georg Kolle, 16.03.1940, Landgericht Göttingen für das Sondergericht Hannover, Sammlung Bolland.

7Sondergerichtssachen Georg Kolle Göttingen, 13.5.1943, Urteil Sondergericht, S. 2.

8Ebenda, S. 5, 18.9.1942, Stapo-Stelle Göttingen Haftsache Kolle.

9Ebenda, S. 29, 22.1.1943, Oberstaatsanwalt Sondergericht Hannover an Herrn Obermedizinalrat Grimme – Kolle.

10Ebenda, S. 82, 20.4.1943, Ärztliches Gutachten Kolle.

11Ebenda, S. 1–2, 13.5.1943, Urteil Sondergericht Hannover.

12Ebenda, S. 145, Stammblatt Strafgefängnis Wolfenbüttel - Kolle.

13Oberstaatsanwaltschaft, 16.08.1943, Anklageschrift., Sammlung Bolland.

145. Strafsenat des Reichsgerichts Leipzig, Urteil vom 3.12.1943, Abschrift, S. 2, Sammlung Bolland.

15Sondergerichtssachen Georg Kolle Göttingen, , S. 145, Stammblatt Strafgefängnis Wolfenbüttel - Kolle.

16Beese-Kubba (2010), S. 141 -143.

17Auskunft Michael Bolland.

Rainer Driever