Friedrich Vogt

wurde am 30.6.1910 in Dingelstedt, Kreis Magdeburg, geboren. Er war der Sohn des Bergmannes Friedrich Vogt. Die Familie zog Anfang der 1920er Jahre nach Bishausen, heute ein Ortsteil Nörten-Hardenbergs. Friedrich machte eine Lehre als Drechsler, die er 1928 beendete. Später arbeitete er auch als Maschineneinrichter im Göttinger Aluminiumwerk (ALCAN).

Seit 1928 war Friedrich Vogt Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes (KJVD). In der Zeit der Weltwirtschaftskrise war es besonders schwer, eine Arbeitsstelle zu finden. Er erinnerte sich: Für die Gesellen gab es keine Arbeit in den Kleinbetrieben, die unter dem Druck der Krise in die Knie gingen. Im Herbst stellte die Zuckerfabrik in Nörten einige hundert Arbeiter ein, die sechs bis acht Wochen dort arbeiten konnten. Man wurde für die kurze Zeit vom Arbeitsamt dorthin überwiesen. Sonst hatte man zu Betrieben keinen Kontakt, es sei denn, daß hier in der Gegend ein Stück Straße gebaut wurde, so daß zehn, zwölf Arbeiter gebraucht wurden. Sonst gab es im Bereich Nörten, wo ich wohnte, keine Arbeitsmöglichkeiten.1

Die KPD in Nörten bestand aus 50-60 Mitgliedern. Helmut Glüer leitete die Ortsgruppe. Neben Plakatkleben und Zeitungsverkauf war vor allem die mündliche Agitation die Hauptaufgabe der Mitglieder. Das Material kam teilweise vom KPD-Bezirksvorstand in Hannover, teils wurde es auch vor Ort gedruckt.2 Die Auseinandersetzungen mit der SA verliefen in Nörten ein wenig anders als in größeren Städten: Nörten ist eine ländliche Gegend, und die Ortsgruppe der SA war stark durch Bauernsöhne vertreten. Aber es kam nicht zu solchen Straßenschlachten wie in großen Städten, weil wir praktisch zusammen großgeworden und zur Schule gegangen waren. Wir stritten uns und sagten uns die Meinung, doch man sagte nicht, man könnte irgendwo nicht hingehen, weil vielleicht drei SA-Leute dort sein könnten. So kraß waren die Unterschiede nicht.3 (KPD Nörten Urteil 1936 PDF)

Im Februar 1933 wurden in Nörten einige KPD'ler wegen Verteilens (inzwischen) illegaler Flugblätter festgenommen. Friedrich Vogt wurde am 8.5.1933 verhaftet, weil er am 1. Mai Flugblätter verteilt hatte. Oberwachtmeister Neuhaus war dabei – in Begleitung zweier SS-Leute. Sie holten mich direkt vom Arbeitsplatz weg. Ich durfte mich vorher umziehen und wurde ins Northeimer Amtsgericht gebracht. Die ersten Verhöre führte Oberwachtmeister Neuhaus, ein ehemaliger Sozialdemokrat, durch. In Moringen folgten später weitere. Ich sagte zu ihm (...), daß er eigentlich neben mir sitzen müßte; denn er gehörte zu meiner Gruppe. Ihn und mich trennte nur noch der Beamtentitel, politisch sei er genauso eingestellt wie ich.4

Friedrich Vogt wurde drei Wochen im Northeimer Gerichtsgefängnis inhaftiert, dann auf Veranlassung des Landrats in das Konzentrationslager überwiesen. Wir waren zu viert in Northeim und wurden – unter der Bewachung von zwei Wachtmeistern – in einen kleinen Omnibus verfrachtet. In Moringen kommandierte der SS-Führer Flohr aus Göttingen. Seine beiden Helfer waren Albert Winter aus Moringen und ein gewisser Hoffmann. Sie waren die beiden Wachkommandanten und Flohr der Hauptkommandant.5

Friedrich Vogt wurde in Moringen weiter vernommen. Ich wurde durch die SS zum Amtsgericht in Moringen gebracht. Dort saß kein Amtsrichter, sondern ein SS-Mann. Das Protokoll wurde von SS-Leuten aufgenommen. Auch hier wurden die körperlichen Mißhandlungen fortgesetzt, aber das war ich schon gewohnt, weil ich inzwischen acht Tage im Lager zugebracht hatte. Jeder Häftling ging erst einmal in den Zellenbau, und die SS-Leute tobten sich an ihm aus. Einem Mann aus Lauterberg hatten sie mit der Reitpeitsche die ganze Backe abgeschlagen, ein anderer hatte sich aufgehängt. Dort herrschten „rauhe Sitten“, und wer keine Nerven hatte, ging vor die Hunde.6

Vogts Prozess sollte noch im Herbst 1933 stattfinden, zuvor wurde er aber als Schutzhäftling im Zuge der Auflösung des Männerlagers in Moringen noch einmal in das Gerichtsgefängnis Göttingen eingeliefert und von dort zum Konzentrationslager Oranienburg transportiert. Dort wurde er kurz vor dem Prozesstermin entlassen.

Der Prozess gegen Friedrich Vogt fand schließlich am 5.12.1933 vor dem Schöffengericht Göttingen statt. Hauptangeklagter war sein zukünftiger Schwager Wilhelm Eglinsky (Wilhelm Eglinsky), der Verlobte seiner Schwester Hulda. Hinzu kamen noch der Schneider Rudolf Hildebrandt aus Bishausen und der Arbeiter Heinrich Kaufhold in Nörten-Hardenberg. Angeklagt waren die Vier wegen Vergehens gegen die Verordnung des Reichspräsidenten vom 4.2.1933. Zugrunde lag die Verbreitung des KPD-Flugblattes Wie wäscht man mit Persil?, das die Angeklagten in Bishausen und Nörten-Hardenberg verteilt hatten. Für schuldig befunden und verurteilt wurden Eglinsky als Haupttäter zu einem Jahr Gefängnis, Hildebrandt zu drei Monaten Gefängnis, Friedrich Vogt und Kaufhold zu je einem Monat Gefängnis. Die Untersuchungshaft wurde Eglinsky auf die Haftzeit angerechnet.7 (Urteil PDF)

Nach dem Prozess saß Vogt noch einige Zeit als Schutzhäftling im Gerichtsgefängnis Göttingen. Die Haftbedingungen scheinen nicht sehr hart gewesen zu sein: Der Hauptwachtmeister Albert Weiland suchte einen, der die Etage etwas versorgte. Ich bin ganz gut dabei gefahren. Öfter ließ er ein Päckchen Tabak und Zigarettenpapier auf dem Schreibtisch liegen. Da wir wußten, daß er nur Zigarren rauchte, steckten wir es ein. Er sagte niemals, ihm würde ein Päckchen Tabak fehlen. Er hat uns Politischen Gutes zukommen lassen. Weiland und Bornemann waren im Grunde sozialdemokratische Beamte, die uns manchmal etwas „gaben“. Es kann sein, daß diese beiden ein gutes Wort für mich eingelegt haben, um mir so einige Wochen Haft zu ersparen.8

Die Verbüßung der eigentlichen Haftstrafe war für das Frühjahr 1934 ab dem Februar vorgesehen. Friedrich Vogt wurde bis dahin seit dem Mai 1933 als Schutzhäftling geführt. Die Haftstrafe dauerte einen Monat. Vogt wurde im März/April 1934 nach der Verbüßung der Strafe erneut als Schutzhäftling vorgesehen: Etwa acht Tage nach der Entlassung wurde ich nach Hannover gerufen, und von dort kam ich nach Berlin. Ich fuhr in diesem Extrawaggon der Eisenbahn, wo zu diesem Zweck Einzelzellen eingerichtet worden waren. Die Eisenbahnfahrt endete in Berlin auf dem Alexanderplatz. Mit einem Kriminalbeamten wurde ich nun nach Oranienburg geschickt. (...) Wir hatten dort täglich ein bis zwei Tote. In Moringen gab es das nicht, bis auf den einen Fall, wo sich der Mann aufgehängt hatte. (…) In Oranienburg mußten die Häftlinge Schießstände bauen. Ich mußte auch einige Male dabei helfen, wurde später aber in die Werkstatt versetzt, weil ich Drechsler war. Sie suchten solche Leute, und ich brauchte so nicht mehr mit hinaus zu den Schießständen, die für die SA gebaut wurden.9

Dabei kamen viele um. Sie wurden angeblich auf der Flucht erschossen, aber das war praktisch gar nicht möglich. Wenn ringsherum SS- und SA-Leute stehen, kann kein Häftling in seinen Holzschuhen – wir trugen alle diese Holzschuhe – türmen. Man hat wohl zu ihm gesagt: „Geh mal den Abhang hinunter“, und dann hat er einen „geputzt“ bekommen. Die meisten hatten die Einschüsse von hinten.

Über seine Entlassung und den Kommandanten sagte Vogt: Er hatte die Angewohnheit, jedem Häftling, dessen Entlassung er unterschrieben hatte, eine vor die „Fresse“ zu hauen. Das war so seine Masche. Als ich zu ihm kam, wurde er gerade rasiert. Ich habe ihm meinen Schein vorgelegt, und er hat unterschrieben. Der ihn rasierte – ein Häftling –, hielt ihm das Messer immer ganz dicht an die Backe, so daß er mir keine scheuern konnte. Er stellte mir Fragen, und ich erzählte ihm von meinen Schwierigkeiten mit den NS-Führern hier im Dorf (Bishausen, RD). Sie wollten mich unbedingt zwingen, jeden mit „Heil Hitler“ zu grüßen, aber ich lehnte das ab. Wenn ich das freiwillig machte, sei es etwas anderes, doch zwingen ließe ich mich nicht. Seine Sekretärin mußte ein Schreiben an den SA-Führer hier bei uns aufsetzen, daß er seine Leute dazu anhalten sollte, mich nicht mit „Heil-Hitler“ zu grüßen, bis ich das persönlich von mir aus täte. Dieses Schreiben gab er mir mit, und ich lieferte es hier ab. Daraufhin hat mich die ganzen Jahre hindurch kein Dorfbewohner mit „Heil-Hitler“ gegrüßt.10

Seine Rückfahrt war vor allem durch die Begegnungen mit der „Normalität“ geprägt: Bei der Entlassung wurden wir mit dem Auto bis zum Berliner Bahnhof in der Friedrichstraße gebracht. Wir wurden zu dritt oder viert ausgeladen. Von der Küche hatten wir ein kleines Proviantpaket mitbekommen und hatten auch noch etwas Geld, um eine Berliner Weiße zu trinken. In Oranienburg hatten wir unsere eigenen Sachen getragen. Daß wir gestunken haben, konnten wir selbst nicht feststellen, weil wir täglich in den Sachen steckten. Als wir im Zug nach Hannover saßen, merkten wir, daß die Leute immer weiter von uns abrückten. Plötzlich sagte ein älterer Herr, daß wir wie ein paar faule Ratten stinken würden. Wir erklärten ihm, daß wir aus dem KZ kämen und die Sachen schon ein halbes Jahr trügen. Der Gestank sei also völlig normal. Bei manchen konnte man nun menschliche Gefühle spüren. Sie kauften uns Bier, während andere nur die Nase rümpften. Sie interessierten sich dafür, wie es im KZ zugegangen war. Wir erzählten jedoch nichts. Dies war uns aufgetragen worden, ansonsten würden wir uns nach acht Tagen im Lager wiedersehen. Wir waren deshalb vorsichtig. Mit seinen Freunden zu Hause hat man schon darüber gesprochen, aber bei Fremden mußte man aufpassen.11

1936 hatte Vogt einige Probleme, als entlassener Häftling Arbeit zu bekommen. Es gelang ihm aber, über seine Bekanntschaft mit dem Stellvertreter des örtlichen SA-Führers die nötigen Papiere zu bekommen. Diese Unbedenklichkeitsbescheinigungen waren selbst für eine Arbeit in der Zuckerfabrik notwendig. Auch der Bezug von Kindergeld war für politisch Vorbestrafte nicht vorgesehen. Auch an diesem Punkt half die eher dörfliche Umgebung. Über Intervention des Ortsgruppenleiters der NSDAP bekam er schließlich die Leistungen ausgezahlt.12

Vogt fand schließlich Arbeit als Maschineneinrichter im Aluminium Werk (ALCAN) in Göttingen. Das Werk war seit 1930 im Besitz der kanadischen Aluminium Company. Zum Arbeitsklima dort berichtete er: Wir 80 % Andersdenkende wurden vom Direktor Schmidt regelrecht gefördert. Wir konnten etwas werden, wenn wir die „Schnauze“ hielten, nicht kritisierten, sondern arbeiteten. Die 20 % Nazis unter den Arbeitern waren größtenteils Hilfsarbeiter. Wir hatten einen Betriebsleiter, Karlchen Gemöhling, der jahrelang in Rußland als Ingenieur tätig gewesen war und der von daher die Verhältnisse kannte. Er hat uns gefördert und in andere Fabriken geschickt. Die SA-Leute hat er links liegen lassen. Sie merkten, daß sie im Alu-Werk nichts besehen konnten. Sie waren immer gehemmt.13 (SPD Selbstbehauptung) Innerhalb von ALCAN wurden die kommunistischen Aktivitäten, die meist in der Informationsverbreitung lagen, von Ernst Möhring koordiniert, der als Obereinrichter arbeitete. Die Dreherei und der Werkzeugbau waren fest in der Hand von Kommunisten und Sozialdemokraten. Mit den Sozialdemokraten in der Firma, den alten politischen Gegnern, z.B. Ernst Fahlbusch, wurde wieder diskutiert.14

Seine Wehrunwürdigkeit aufgrund der Verurteilung wegen Hochverrats (Flugblattverteilung) bewahrte Friedrich Vogt nicht vor der Musterung. Der Richter hatte ihm nach dem Prozess geraten, das Schreiben sehr sorgfältig aufzubewahren. Vogt wurde trotzdem mehrfach bedrängt, sich freiwillig zu melden, 1942 sogar in der Staatspolizei-Außendienststelle in Göttingen.15

Friedrich Vogt arbeitete bis Kriegsende bei ALCAN, wo auch seine Schwester Hulda (Hulda Eglinsky) nach der Entlassung aus dem Konzentrationslager Moringen Arbeit gefunden hatte.16 Sein Schwager Wilhelm Eglinsky (Wilhelm Eglinsky) verbüßte seine Haft in Hameln. Am 22. August 1935 wurde Eglinsky erneut verhaftet und zunächst als politischer Häftling in das Konzentrationslager Lichtenburg überführt. Von dort wurde er nach Buchenwald transportiert, wo er bis 1945 blieb.17 Friedrichs Vater Albert wurde am 20.1.1936 verhaftet und am 8.4.1936 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.18


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Quellen

Augenzeugenbefragung Friedrich Vogt (13.01.1977). Stadtarchiv Göttingen, Dep. 77 I, Nr. 98.

Entschädigungsakte Eglinsky, Willi: VVN - Eglinsky. Archiv des VVN-BdA Niedersachsen e.V., Fach 12, Nr. 96.

Gefangenenpersonalakte Willi Eglinsky: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 1503.

Gefangenenpersonalakte Wilhelm Franke: Gerichtsgefängnis Hannover. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86a Hannover Acc. 2000/057 Nr. 239.



1Augenzeugenbefragung Friedrich Vogt 13.01.1977, S. 1.

2Ebenda, S. 3.

3Ebenda, S. 4.

4Ebenda, S. 5.

5Ebenda, S. 6.

6Ebenda, S. 7.

7Gefangenenpersonalakte Willi Eglinsky, S. 23, 28.12.1933 - Abschrift Strafsache Eglinsky „Flugschriften“.

8Augenzeugenbefragung Friedrich Vogt 13.01.1977, S. 8.

9Ebenda, S. 9.

10Ebenda, S. 10.

11Ebenda, S. 11.

12Ebenda, S. 13.

13Ebenda, S. 14.

14Ebenda, S. 17.

15Ebenda, S. 15-16.

16Entschädigungsakte Eglinsky, S. 7, VVN an Reg.Präs. Antrag Wiedergutmachung Hulda Eglinsky.

17Ebenda, S. 1, 9.12.1957 Regierungspräsident Entschädigungsbehörde Sache Eglinsky.

18Gefangenenpersonalakte Wilhelm Franke, S. 14, 8.4.1936, Urteil des Strafsenats des Oberlandesgerichts Kassel gegen Franke u.a., Urteil S. 4.

Rainer Driever