Schutzhaft

Ein Funkspruch des Regierungspräsidenten aus Hildesheim am 28.2.33 enthielt neben der Anweisung, sämtliche kommunistische Flugblätter und Druckschriften zu beschlagnahmen und eine verstärkte Unterstützungstätigkeit von Hilfspolizei und Bereitschaftspolizei sicherzustellen, vor allem die Direktive für gründliche Durchsuchungsaktionen bei allen kommunistischen Funktionären.1

Diese wurden sofort vorgenommen. Betroffen davon waren der Drechsler Karl Meyer, der Kraftwagenführer Robert Liberty und der Arbeiter Gustav Kuhn. Eine Anzahl von Druckschriften wurde dabei beschlagnahmt.2

Am 1. März wurden die beiden Kommunisten Gustav Kuhn und Gustav Weiß in Schutzhaft (Schutzhaft PDF) genommen.3 Hannah Vogt, eine aus Göttingen stammende Kommunistin, wurde am selben Tag in Osterode in Schutzhaft genommen.4 Dies markierte den Beginn der Inhaftierungskampagne gegen die Göttinger Kommunisten. Eine Inschutzhaftnahme konnte dabei lediglich aufgrund der tatsächlichen Mitgliedschaft oder nur vermuteten Nähe zur KPD erfolgen. Sie war oft von Haussuchungen eingeleitet, die jedoch in den wenigsten Fällen belastendes Material erbrachten. Inhaftiert wurden am 3.3.1933 Adolf Reinecke, Funktionär und Bürgervorsteher der hiesigen K.P.D, am 4.3.19 33 August Strasen und Ernst Hanne und am 13.3.1933 Fritz Schaper. Bei allen wurden Durchsuchungen vorgenommen, die aber ergebnislos verliefen.5

Zur Begründung wurde formelhaft der Verdacht hochverräterischen Handelns angegeben.Dabei wurde betont, dass die Haft aus politischen Gründen verhängt wurde. Grund für diese Formulierung war, dass die so eingestuften Inhaftierten vom Wahlrecht ausschlossen waren. Warum die Inhaftierten noch an der Reichstagswahl am 5. März teilnehmen konnten, ist unklar, zur Kommunalwahl am 12. März allerdings waren Hanne, Kuhn, Reinecke, Strasen und Weiß nicht mehr zugelassen.6 Die Inhaftierten legten am 15. März wegen ihrer Festnahme Beschwerde ein, welche aber als unbegründet zurückgewiesen wurde.7 12 Tage später beschwerten sich die Inhaftierten erneut, diesmal aber über die Haftbedingungen im Polizeigefängnis, und begannen am 28. März einen Hungerstreik.8 (Beschwerde PDF)

Mitte April belief sich die Zahl der seit dem 1. März aus politischen Gründen Verhafteten auf 22 Personen, von denen sich am 13. April noch 6 Personen in Polizeihaft befanden.9 Von diesen 6 Personen wiederum waren am 3. Mai noch Karl Fischbach, Martin Strauss, Willi Eglinsky, Paul Sell und Johann Osche inhaftiert.10

Überblick über die inhaftierten Göttinger Kommunisten bis zum Herbst 1933 (Schutzhaft-Liste)

Die Polizei berichtete am 3. Mai an den Regierungspräsidenten über die Wirkung der Schutzhaft: Die in polizeilicher Schutzhaft gewesenen Personen führen ein zurückgezogenes Leben und beteiligen sich nicht mehr an staatsgefährlichen Umtrieben. Für eine Unterbringung in einem Konzentrationslager kämen nur Funktionäre in Frage, die nach erfolgter Entlassung noch weiter staatsfeindlich tätig seien.11

Dafür kamen jedoch die zu diesem Zeitpunkt noch inhaftierten Kommunisten als erste in Frage. Im Bericht der Ortspolizei vom 16. Mai 1933 erscheinen der Kaufmann Fritz Schaper, der Arbeiter Rudi Kräußlein, der Arbeiter Adolf Kreitz und der Dreher Ernst Möhring als an diesem Tag aus der Schutzhaft entlassen. Da sie aber in ein Konzentrationslager überführt werden sollten12, wurden sie sofort in das Gerichtsgefängnis überführt.13

Die Kosten für die Schutzhaft der politischen Schutzhäftlinge übernahm das Land Preußen.14 Allerdings musste die Erstattung dieser Kosten, die pro Häftling mit 1,50 RM täglich veranschlagt wurden, beantragt werden. In den Fällen, wo die Ortspolizeibehörden Verträge mit den Gerichtsgefängnissen über höhere Beträge abgeschlossen hatten, mussten die Mehrkosten von den Gemeinden getragen werden.15

Obwohl die Schutzhaft eine polizeiliche Angelegenheit war, durften ab Mitte Juni 1933 Schutzhäftlinge nicht mehr ohne vorherige Genehmigung des Regierungspräsidenten entlassen werden. Die Polizeibehörden wurden angewiesen, auch bei scheinbar unbedenklichen Haftentlassungen zuvor zu berichten.16

Bereits ab Anfang Juni wurden die Schutzhäftlinge in zwei Kategorien eingeteilt. Wenn mit einer kurzen Dauer der Haft (bis 8 Tage) gerechnet wurde, so verblieben die Inhaftierten im Polizei- oder Gerichtsgefängnis. Bei zu erwartender längerer Schutzhaft waren die Betreffenden in das Konzentrationslager Moringen zu überführen.17

Ebenso machte sich Rudolf Diehls, der erste Leiter der Geheimen Staatspolizei, Gedanken über „rückfällige“ Schutzhäftlinge. Die hätten sich nach ihrer Freilassung wieder im staatsfeindlichen Sinne betätigt. Gegen solche unverbesserlichen Elemente muß rücksichtslos vorgegangen werden. Es ist selbstverständlich, daß die Betroffenen sofort erneut in Schutzhaft zu nehmen und ohne zeitliche Befristung sowie unter Wegfall aller sonst üblichen Vergünstigungen in ein Konzentrationslager zu verbringen sind. Die Betreffenden sollten in Listen erfasst werden. Zudem war nun ab Ende Juni 1933 für eine Entlassung nicht mehr allein die Genehmigung des zuständigen Regierungspräsidenten, sondern zudem noch die des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin nötig.18

Am 19. September 1933 mahnte der preußische Innenminister eine Überprüfung der Schutzhaftanordnungen an. Hintergrund war anscheinend die Überfüllung von Gefängnissen und Konzentrationslagern sowie die Überlastung der Polizei. Unbedingt nötig wäre es aber, daß die verbrecherischen marxistischen Umtriebe in rücksichtsloser Weise bekämpft und diese Gefahrenquelle völlig beseitigt wird. Die Überprüfung betreffe insbesondere Kranke und Personen, bei denen Schutzhaft wegen Beleidigung von Mitgliedern der Reichs- und Staatsregierung der SA. und SS. und der politischen Leitung der NSDAP verhängt worden ist.19 Die Schutzhaft gegen Funktionäre, gegen Rückfällige und gegen Häftlinge, die sich nach dem 21. März 1933 aktiv im staatsfeindlichen Sinne betätigt haben, sei unbedingt aufrechtzuerhalten.20

Nach diesem Runderlass beabsichtigte die Göttinger Polizei, die Fürsorgezöglinge Klotz und Gebhardt aus dem Konzentrationslager Moringen zu entlassen und in das Landes-Erziehungsheim zu überführen, während Gustav Kuhn, Else Heinemann und Elisabeth Vogel erst am 11. November zur Entlassung kommen sollten.21

Anlässlich der Weihnachtsamnestie 1933 wandte sich die Gestapa in Berlin auch an die Ortspolizeibehörden: Die entlassenen Schutzhäftlinge sollen den Weg in die Volksgemeinschaft zurück finden. Nur solche Häftlinge sind entlassen worden, von denen man annehmen kann, das sie sich von ihren früheren marxistischen Führern lossagen. Die Entlassenen sollen als vollgültige Volksgenossen behandelt werden. Dabei soll darauf geachtet werden, alte Parteimitglieder und SA-Angehörige nicht zu übergehen. Die Schutzhaft, auch in einem Konzentrationslager, sollte nicht als Grund für eine Nichteinstellung eines Bewerbers dienen.22



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Literatur und Quellen

Hesse, Hans; Vogt, Hannah (1998): Hoffnung ist ein ewiges Begräbnis. Briefe von Dr. Hannah Vogt aus dem Gerichtsgefängnis Osterode und dem KZ Moringen 1933. Bremen: Edition Temmen.

KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 155, Nr. 1a.

Schumann, Wilhelm (1973): Ihr seid den dunklen Weg für uns gegangen …: Skizzen aus dem Widerstand in Hann. Münden 1933 - 1939. Frankfurt/Main: Röderberg-Verlag.

Schutz des deutschen Volkes (Schutzhaft): Schutzhaft, Haussuchungen, Notverordnungen. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 31a, Nr. 1, Bd. 2.

Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik: Schutzhaft. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 31a, Nr. 2, Bd. 1.



1KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 87–88, 28.2.1933: Funkspruch Reg.Präs.Hildesheim an alle Polizeibehörden, Verbot KPD-Aktivitäten.

2Ebenda, S. 91-91v, 28.2.1933: Ortspolizei Bericht Durchsuchungen bei Kommunisten.

3Göttinger Zeitung, 2.3.1933- Verhaftung Kuhn + Weiß.

4Hesse und Vogt 1998, S. 19, Haftbefehl für Hannah Vogt vom 2. März 1933.

5Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 138, 20.3.1933: Schutzhäftlinge - Ortspolizeibehörde an Regierungspräsident, Durchführung der Verordnung Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933

6KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 122, Reg.Präs Hildesheim, Info: Schutzhaft KPD und Wahlrecht, 4.3.1933.

7Ebenda, S. 136, Ortspolizei Meldung, Beschwerde Schutzhaft KPD'ler, 15.3.1933.

8KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 147-147v.

9Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 161, Ortspolizei, 13. April 1933, Bericht Griethe, Anzahl Schutzhäftlinge.

10KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 176, Verzeichnis Meldung Schutzhäftlinge, 16. April - 3. Mai 1933.

11Schutz des deutschen Volkes (Schutzhaft), S. 30, Bericht Ortspolizei an RegPräs., 3. Mai 1933.

12Ebenda, S. 31v.

13KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 186v, Ortspolizei, Meldung Schutzhäftlinge, 17. Mai / 16. Juni 1933.

14Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 165, Kostenerstattung für die Unterbringung der Schutzhäftlinge vom 20. Mai 1933.

15Ebenda, S. 166, Kommissarischer Regierungspräsident u.a. an die Ortspolizeibehörden, 29. Mai 1933, Kosten für Schutzhäftlinge.

16Schutz des deutschen Volkes (Schutzhaft), S. 42, Regierungspräsident Hildesheim an Landräte und Ortspolizeibehörden, 14. Juni 1933.

17Ebenda, S. 40, Regierungspräsident an Landräte und Ortspolizeibehörden, 9. Juni 1933 zu politischen Schutzhaftgefangenen.

18Schumann 1973, S. 95, 30.6.1933 - Gestapa an alle Stapo-Stellen, - Rudolf Diels (Wikipedia) als Chef der Geheimen Staatspolizei zu "rückfälligen Schutzhäftlinge".

19Schutz des deutschen Volkes (Schutzhaft), S. 59, Preuss. Innenminister: Überprüfung Schutzhaftanordnungen, 19. September 1933.

20Ebenda, S. 59v, Preuss. Innenminister: Überprüfung Schutzhaftanordnungen, 19. September 1933.

21Ebenda, S. 60v, Ortspolizei Göttingen, Überprüfung Schutzhaftanordnungen, 27. September 1933.

22Ebenda, S. 69, Gestapa Berlin, 5. Januar 1934, Weihnachtsamnestie.

Rainer Driever