Gustav Kuhn

wurde am 13.2.1892 in Königsberg geboren. 1906 verließ er die Schule und arbeitete in einem Schlachterei.

1914 wurde er als Matrose einberufen und noch im selben Jahr verwundet. Nach seiner Genesung wurde er wegen Gehorsamsverweigerung bestraft. Gustav Kuhn verweigerte den weiteren Kriegsdienst. Zunächst wurde er in der Festung Köln inhaftiert, anschließend in eine Strafkompanie im schleswig-holsteinischen Moor versetzt. Bei Kriegsende kam Kuhn wieder frei und ging nach Berlin. Dort arbeitete in der Schlachterei seines Schwagers in Treptow. In Berlin schloss er sich dem Spartakusbund an und war an den Kämpfen in der Stadt beteiligt. 1919 wurde Kuhn erneut verhaftet und bestraft.

Im April 1922 zog Gustav Kuhn nach Göttingen um. Am 7.6.1930 heiratete er dort Luise Wild (geb. 2.10.1905 in Göttingen). Bis 1933 arbeitete er bei der Terrazzofirma Scandolo als Arbeiter. Kuhn zog innerhalb der Stadt mehrfach um, zuletzt wohnte er in der Angerstraße.1

Seit 1929 war Kuhn Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Er übte für die Ortsgruppe eine ganze Reihe Funktionen aus: 1932 bis 1933 Hauptkassierer, Mitglied der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO), Organisationsleiter des Kampfbundes gegen den Faschismus (Arbeiterwehr) 1931 und 1932 sowie Kassierer der Roten Hilfe.2

Kuhn geriet natürlich durch diese Tätigkeiten des öfteren in den Focus der polizeilichen Ermittlungs- und Überwachungstätigkeit. So z.B. in der Überwachung der Wohnung von Franz Wolf (ebenfalls zeitweise in der Führung des Kampfbundes) in der Roten Straße im Februar 19323 oder bei Haussuchungen im Sommer 1932.4

Gustav Kuhn war auch einer der ersten Kommunisten, bei denen Ende Februar 1933 Haussuchungen vorgenommen wurden. Das Ergebnis war mager, Kuhn hatte anscheinend bereits inzwischen illegales Material (Verordnung vom 4.2.1933) beiseite geschafft.5 Am 1. März wurde er dann zusammen mit zwei anderen Göttinger Kommunisten verhaftet. Seine erste Schutzhaft dauerte etwas länger als einen Monat. In der Haft kamen zum ersten Mal Strategien der Häftlinge zum Einsatz, die eigentlich eher deren Ohnmacht demonstrierten. So schrieben die kommunistischen Schutzhäftlinge Eingaben und Beschwerden und protestierten mit einem Hungerstreik gegen die Haftbedingungen. (Schutzhaft) Am 7. April wurde Kuhn wieder aus dem Polizeigefängnis entlassen.6

Kuhn tritt zunächst in den Akten nicht mehr in Erscheinung, im Juni wurde sein Fahrrad, wie auch die anderer Kommunisten, wegen des Verdachts auf „Kuriertätigkeit“ beschlagnahmt. Es wurde für 7 RM an die Göttinger SS verkauft.7

Am 2. Juli wurde Kuhn erneut inhaftiert. Anscheinend hatte er im angetrunkenen Zustand die neue politische Lage kommentiert. Nach 5 Tagen wurde er aus der Schutzhaft entlassen.8

Am 19.8. wurde Kuhn nochmals von der Polizei festgenommen und am 23.8.1933 zusammen mit Else Heinemann und Elisabeth Vogel sowie den Fürsorgezöglingen Gerd Gebhardt und Otto Klotz in das Konzentrationslager Moringen überführt.9

In einem Nachkriegsprozess gegen Mitglieder der SS-Wachmannschaft sagte Kuhn über deren Terror aus: Der Zeuge Kuhn war vom 22.8. - Nov. 1933 im KZ Moringen. Er war zunächst in einer Gemeinschaftszelle untergebracht, kam dann aber Anfang Sept. in Einzelhaft. Eines Tages bemerkte er bei Rückkehr in seine Zelle ein Hitlerbild an der Wand. Als ihn darauf der diensthabende SS-Mann Sander fragte was er denn mit dem Bild wolle, gab Kuhn zur Antwort, daß er das Bild ja nicht hingehängt habe. Sander erwiderte: “Morgen wirst Du es schon wissen.” Am nächsten Abend kam der diensthabende SS-Mann Neuss zum Zählappell in die Zelle. Er versuchte draußen das Licht für die Zelle anzuknipsen, jedoch brannten die Birnen nicht. Neuss forderte den Zeugen Kuhn daraufhin auf, die Birne festzuschrauben. Das war diesem jedoch wegen der Höhe der Zelle unmöglich, und er machte Neuss auf diese Schwierigkeit aufmerksam. Nunmehr forderte Neus Kuhn auf, mitzukommen und führte ihn in eine andere Zelle, in der das Fenster mit einer Matratze abgedichtet war und in deren Mitte lediglich ein Schemel stand. In der Zelle waren bereits die SS-Leute Sander und Albrecht anwesend. Diese forderten nunmehr den Zeugen Kuhn auf, sich über den Schemel zu legen. Dieser lehnte jedoch die Aufforderung mit dem Hinweis ab, daß er als Schutzhäftling im Lager sei. Hierauf versuchten Albrecht und Sander ihn mit Gewalt über den Schemel zu legen, wogegen Kuhn sich jedoch zur Wehr setzte u. seinerseits den beiden einen Stoß vor die Brust versetzte. Darauf schlugen beide mit Gummiknüppeln bezw. Ochsenziemern etwa 30 mal derart auf ihn ein, daß der ganze Körper mit dicken blutunterlaufenen Striemen behaftet war. Als Sander und Albrecht glaubten, ihm genug Schläge verabfolgt zu haben, stießen sie ihn aus der Zelle in den Gang. Dort nahm ihn Neuss wieder in Empfang und schlug ihm seinerseits mit einem Schlüsselbund derartig ins Gesicht, daß ihm 3 Schneidezähne ausgeschlagen wurden.10

Im November 1933 wurde Kuhn im Rahmen der Räumung des Männerlagers Moringen in das Konzentrationslager Oranienburg überführt.

Am 19.12.1933 wurde er nach Göttingen entlassen und wohnte wieder im Hinterhaus des Rosdorfer Wegs 12.11 In den folgenden Monaten arbeitete er gezwungenermaßen für die hannoversche Firma Plinke auf einer Autobahnbaustelle. Seine Beobachtung durch die Göttinger Polizei erbrachte in dieser Zeit keinerlei Beweise für eine staatsfeindliche Zusammenarbeit mit anderen Göttinger Kommunisten.12

Von März bis Juli 1935 war Kuhn erneut inhaftiert, diesmal als Untersuchungsgefangener im Straf- und Untersuchungsgefängnis Hannover. Am 19 Juli 1935 wurde er durch das Sondergericht in Hannover wegen unbefugten Tragens eines Parteiabzeichens der NSDAP zu 2 Wochen Gefängnis verurteilt.13Nach Verbüßung dieser Haft arbeitete Kuhn bei der Baufirma Hildebrandt in Göttingen.

Am 28.11.1936 wurde Kuhn im Gerichtsgefängnis Göttingen inhaftiert. Gegen ihn und sechs andere Göttinger Kommunisten wurde in der Folgezeit ein Prozess vorbereitet. Das Verfassen der Anklageschrift zog sich bis in den August 1937. Die Vorwürfe gegen Kuhn beliefen sich auf die Teilnahme an einer sog. Hörergemeinschaft, also einem gemeinschaftlichen Hören ausländischer Rundfunksender, und dem Verstecken von Waffen. Adolf Reinecke hatte im Herbst 1932 einige Gewehre für die KPD Göttingen angeschafft. Diese versteckte er zusammen mit Gustav Weiss und Gustav Kuhn im April 1933 in einem kleinen Waldstück auf dem Kleinen Hagen. Kurz darauf lagerte er sie noch einmal, diesmal professioneller verpackt, in einen Kleingarten um. Die Kiste mit den Waffen wurde anlässlich der Verhaftungen zum Prozess gegen Göttinger Kommunisten im August 1937 ausgegraben und sichergestellt.14

Am 14. September 1937 fand der Prozess vor dem Strafsenat des Oberlandesgerichts in Kassel (A.O. Js 284/36) statt.15 Kuhn wurde zu zwei Jahren und fünf Monaten Zuchthaus verurteilt, seine Untersuchungshaft wurde auf das Strafmaß angerechnet. (Urteil PDF) Er verbrachte seine Haftstrafe bis zum 14.4.1939 im Zuchthaus in Kassel. Danach nahm ihn die Gestapo Hildesheim in Schutzhaft und überführte Kuhn im Mai 1939 in das Konzentrationslager Dachau.

Am 2.3.1943 wurde seine Ehe mit seiner Frau Luise auf Druck der Gestapo geschieden. Seine Frau Luise war im Sommer 1937 als Untersuchungshäftling wegen politischer Vergehen im Gerichtsgefängnis Göttingen inhaftiert.16 Im Prozess gegen ihren Mann im September 1937 wurde sie als Zeugin vernommen.

Am 2.5.1945 wurde Gustav Kuhn von der US-Army aus dem Konzentrationslager Dachau befreit. Als kranker und schwer gezeichneter Mann kehrt er 1945 nach Göttingen zurück.17

Ab 12.6.1945 war Kuhn erneut in Göttingen im Maschmühlenweg 46 gemeldet. Eigentlich war Gustav zusammen mit Fritz Körber (ISK) für die Besetzung des Kreissonderhilfsausschusses in Göttingen vorgesehen. Dieser kümmerte sich um die Belange der ehemaligen politisch und religiös Verfolgten. Beide wurden von der Militärregierung vorgeschlagen, aber vom Rat nicht in den Ausschuss gewählt.18

Seit dem 17.5.1946 wohnte Kuhn in der Petrosilienstraße 8. Kuhn arbeitete zwei Jahre in der Mensa. Auf Grund der gesundheitlichen Folgen seiner 12-jährigen Inhaftierung konnte Kuhn ab 1948 nicht mehr arbeiten. Unter der Nummer 34 wurde er beim Sonderhilfsausschuss in Göttingen als anerkannter politisch Verfolgter geführt, die Entschädigungsleistungen wurden ihm aber ab Anfang der 1950er Jahre im Zuge der neu einsetzenden Kommunistenverfolgung wieder aberkannt.

Innerhalb der Göttinger KPD war Gustav Kuhn weiterhin präsent jedoch hatte er laut der Zeitzeugin Karin Rohrig eine eher zurückgezogene und beratende Rolle. Ihr Mann Karl-Heinz Rohrig brachte ihm regelmäßig die KPD-Zeitung in seine Wohnung in die Petrosilienstraße. Am 3.10.1954 starb Gustav Kuhn im Alter von 62 Jahren in Göttingen.19



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Literatur und Quellen:

Anfragen und Beobachtungen über Personen in politischer Hinsicht: Personenbeobachtung. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 14.

Hesse, Hans (2003): Das frühe KZ Moringen (April - November 1933) : "… ein an sich interessanter psychologischer Versuch …". Norderstedt: Books on Demand GmbH.

KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 155, Nr. 1a.

KPD Göttingen - Antifaschistische Arbeiterwehr (Antifa). Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, XXVII, A, Fach 155, Nr. 9.

KPD Göttingen - Beschlagnahme und Einziehung des kommunistischen Vermögens. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 11.

Nachlass des Arbeiters Karl Meyer, Göttingen: politische Haft. Stadtarchiv Göttingen, Kleine Erwerbungen Nr. 76.

Rohrbach, Rainer (1985): "… damit radikale Elemente zurückgedrängt werden.". Gewerkschaften und Parteien in den Jahren 1945 und 1946. In: Hans-Georg Schmeling (Hg.): Göttingen 1945 : Kriegsende und Neubeginn : Texte und Materialien zur Ausstellung im Städtischen Museum, 31. März - 28. Juli 1985. Göttingen: Kulturdezernat, S. 317–349.

Verkehr mit Gefangenen. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 25, Nr. 8.

Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik: Schutzhaft. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 2, Bd. 1.



1Antifaschistische Linke International – http://www.inventati.org/ali/index.php?option=com_content&view=article&id=1907:regionale-arbeiterinnengeschichte&Itemid=1#biographien, zuletzt 16.3.2016.

2Nachlass des Arbeiters Karl Meyer, Göttingen, S. 1 / 11, Der Generalstaatsanwalt, O.Js. 284/36, Kassel, den 3. August 1937, Anklageschrift.

3KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 60-60v, Bericht Kommunistische Treffen, 4.2.1932.

4Ebenda, S. 68-68v, Ortspolizei Bericht Durchsuchungen, 12.8.1932.

5Ebenda, S. 91-91v, 28.2.1933: Ortspolizei Bericht Durchsuchungen bei Kommunisten.

6Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 168, Schutzhaft.

7KPD Göttingen - Beschlagnahme und Einziehung des kommunistischen Vermögens, S. 15, Formblatt Beschlagnahmung Fahrräder Kuhn und Kräusslein, 17.6.1933.

8Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 155, Bericht Ahlers, Schutzhäftlinge vom 14. Juli 1933.

9Ebenda, S. 256, 22.8.1933 - Ortspolizei Göttingen an Direktion des Konzentrationslagers Moringen.

10Hesse 2003, S. 96, Aussage Kuhn (wahrscheinlich Schwurgerichtsprozess nach dem Krieg, (BA Koblenz, Z 38/419, Bl. 7)).

11KPD Göttingen - Antifaschistische Arbeiterwehr (Antifa), S. 14v, Bericht 14. März 1934.

12Anfragen und Beobachtungen über Personen in politischer Hinsicht, S. 75–76, Bericht Alster zur Anzeige durch Kreisparteileitung, 29.6.1934.

13Nachlass des Arbeiters Karl Meyer, Göttingen, S. 1 / 11, Der Generalstaatsanwalt, O.Js. 284/36, Kassel, den 3. August 1937, Anklageschrift.

14Ebenda, S. 1 / 12.

15Ebenda, S. 9, Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht für Hessen, Zweigstelle Kassel, Aufhebung Urteil, 15.9.1949.

16Verkehr mit Gefangenen, S. 58, Gerichtsgefängnis an Polizeidirektion, Meldung über Luise Kuhn, 2.7.1937.

17KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 366, Bescheinigung Gustav Kuhn, 4.7.1945.

18Rohrbach 1985, S. 324, April 1946 - Einrichtung Kreisonderhilfssauschuss.

19Antifaschistische Linke International – http://www.inventati.org/ali/index.php?option=com_content&view=article&id=1907:regionale-arbeiterinnengeschichte&Itemid=1#biographien, zuletzt 16.3.2016.

Rainer Driever