Wilhelm Eglinsky

wurde am 29.4.1901 in Harburg bei Hamburg geboren, wo er auch die Volksschule besuchte. Eglinsky zog im November 1929 nach Göttingen und wohnte in der Geismarlandstraße. Er verdiente Anfang der 1930er Jahre sein Geld als Transportarbeiter. Als Religionszugehörigkeit wurde in den Polizeiakten Dissident vermerkt.1

Eglinsky war in der Göttinger Ortsgruppe der KPD ab Anfang der 1930er Jahre politisch aktiv. Eine Funktionärstätigkeit ist nicht überliefert, er war aber im politischen Auftrag in der Region Göttingen unterwegs.2

Zeit seines Lebens eckte Eglinsky an. Bereits in Hamburg, Kiel und Ludwigsstadt wurde er in den 1920er Jahren wegen verschiedener Delikte (Diebstahl, Betteln, Landstreicherei) verurteilt und verbrachte mehrere Jahre in Haft. Hinzu kamen Anfang der 1930er Jahre zwei politische Verurteilungen, die im Zusammenhang mit Straßenkämpfen gegen die SA bzw. Auseinandersetzungen mit der Polizei standen.

In einer Verhandlung vor dem Landgericht Göttingen wurde Eglinsky am 2.6.1931 zusammen mit Willi Kreitz und Oskar Knodt, zwei anderen KPD-Mitgliedern aus Göttingen, wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung verurteilt. Die Verurteilung bezog sich auf einen Zwischenfall im Göttinger Arbeitsamt am 4.2.1931, bei dem es in einer unübersichtlichen Situation (das Arbeitsamt öffnete später und im Eingangsbereich entstand eine Drängelei) zu einer Schlägerei kam, bei der drei anwesende Nationalsozialisten den Kürzeren zogen. Wilhelm Eglinsky wurde zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt (Knodt zu 6 und Kreitz zu 3 Monaten). In einer Berufungsverhandlung am 4.2.1932 wurden die Strafen revidiert: Knodt und Kreitz wurden freigesprochen, Eglinskys Strafe um drei Monate verkürzt.3 Eglinsky wurde im Strafgefängnis Hameln inhaftiert und kam im März 1932 wieder frei.4

Während seiner Zeit in Hameln hatte sich die Situation in Göttingen nicht geändert. Sie war weiterhin bestimmt von Gewalt auf der Straße, von Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und SA-Leuten. Eine erneute politisch motivierte Schlägerei brachte Eglinsky eine Verurteilung wegen Körperverletzung und die erneute Inhaftierung in Hameln. Er wurde dort am 30.11.1932 eingeliefert, kam aber aufgrund der Schleicher-Amnestie vom 20.12.1932 (für politische Straftaten und solche aus wirtschaftlicher Not) vorzeitig wieder frei. 5

Nach der Machtübernahme wurde Eglinsky bei der Polizei als KPD-Funktionär geführt. Einer besonderen Begründung bedurfte es nicht zu seiner Festnahme. Am 4. April folgten ihm Polizeibeamte in der Geismarlandstraße bis zur Nummer 25c, in der er wohnte. Dort wurde er in der Wohnung der Witwe Rohrig festgenommen. Kriminalassistent Günther, der die Festnahme durchführte, vermerkte noch, dass Eglinsky gegenüber der Witwe Rohrig äußerte, die Rohrig solle den anderen von seiner Festnahme Bescheid sagen. Daraus schloss er messerscharf, dass es sich dabei um noch andere Kommunisten handelt.6 In einer Stellungnahme gab Eglinsky später an, dass er damit seine Verlobte Hulda Vogt (Hulda Eglinsky) in Nörten-Hardenberg gemeint habe.7 Er wurde als Funktionär der KPD und wegen Verdachts staatsgefährdender Umtriebe im Polizeigefängnis in der Gotmarstraße in Schutzhaft genommen.8

Am 14. April schrieb Eglinsky in der Haft eine Eingabe an die Ortspolizei: Seit dem 4.IV. dieses Monats befinde ich mich in Schutzhaft, und als Grund wird angegeben, dass ich Funktionär der KP sei und mich als solcher betätige.
Dieser Grund kann nicht zutreffen, da bereits in November ein Ausschlussverfahren gegen mich lief, dasselbe endete im Januar mit meinen Ausschluß aus der Partei. Beiträge habe ich bis November vorigen Jahres bezahlt, was aus meinem beschlagnahmten Mitgliedsbuch hier auf der Polizei ersichtlich ist. Seit dieser Zeit habe ich mich um Angelegenheiten der KP nicht mehr gekümmert, ich bemühte mich vielmehr um Arbeit, welche mir auch von einem hiesigen Bauunternehmer zugesagt wurde. Diese Zusage erhielt ich nur unter der Bedingung nicht mehr in Sinne der KPD tätig zu sein.
Ich bemerke noch, daß
(bei der) bei mir stattgefundene Haussuchung kein Material gefunden wurde, woraus sich die gegen mich verhängte Schutzhaft stützen könnte, nach alldem glaube ich (, dass) eine weitere Aufrechterhaltung der Haft nicht gerechtfertigt (ist) und bitte um baldige Aufhebung der selben.
Wilhelm Eglinsky

Kriminalsekretär Griethe vermerkte dazu am 18.4.1933: Eglinsky war in den letzten Jahren als einer der eifrigsten Kommunisten hier bekannt, der auch wiederholt in politische Schlägereien verwickelt war und erheblich bestraft ist. Seine Inschutzhaftnahme in letzter Zeit war aus naheliegenden Gründen daher sehr begründet. Inzwischen ist E. am 15.4.33 wieder aus der Schutzhaft entlassen.9

Eglinsky stand weiter unter polizeilicher Beobachtung. Am 10. Juni wurde bei ihm und Johann Osche (Schutzhaft 8.4. - 15.4.33) wegen Verdachts auf Besitz kommunistischen oder sonstigem staatsfeindlichen Materials eine Durchsuchung durchgeführt. Die bei Eglinsky vorgefundenen Bücher und sonstigen Schriften waren zwar nicht staatsfeindlichen Inhalts, wurden aber trotzdem sichergestellt.10

In verschiedenen Notizen wird von der weiteren ergebnislosen Überwachung berichtet. Noch am 18. August hieß es: Eglinsky und Osche sind in der Berichtszeit in kommunistischer oder sonst staatsfeindlicher Hinsicht nicht hervorgetreten.11

Einen Monat später saß Eglinsky als Untersuchungshäftling im Gerichtsgefängnis. Er war am 15.9.1933 wegen Verdacht des Hochverrats verhaftet worden.12 Zwei Monate später wartete er noch auf seine Verhandlung und stellte beim Untersuchungsrichter einen Antrag auf einen Anzugswechsel. Er wollte nicht mit seinem schmutzigen und bereits schadhaften Anzug zu seinem Verhandlungstermin am 5. Dezember erscheinen.13

Das Schöffengericht Göttingen verhandelte gegen den Transportarbeiter Wilhelm Eglinsky, den Drechsler Friedrich Vogt aus Bishausen, den Schneider Rudolf Hildebrandt aus Bishausen und den Arbeiter Heinrich Kaufhold in Nörten-Hardenberg wegen Vergehens gegen die Verordnung der Reichspräsidenten vom 4.2.1933. Ihnen wurde vorgeworfen, eine Tarnschrift kommunistischen Inhalts verbreitet zu haben, die unter der Überschrift Wie wasche ich mit Persil? zirkulierte. Für schuldig befunden und verurteilt wurden Eglinsky als Haupttäter zu einem Jahr Gefängnis, Hildebrandt zu drei Monaten Gefängnis, Friedrich Vogt (der Bruder von Eglinskys Verlobter) und Kaufhold zu je einem Monat Gefängnis. Die Untersuchungshaft wurde Eglinsky auf die Haftzeit angerechnet.14 (Urteil PDF)

Aus dem Gerichtsgefängnis Göttingen wurde Eglinsky wegen Überbelegung am 20. Dezember 1933 mittels Sammeltransport in das Strafgefängnis Hameln überführt.15 Eglinsky und seine Verlobte Hulda Vogt hatten ihre Hochzeit für den 9. September 1933 geplant, kurz vorher waren beide allerdings verhaftet worden. Eglinsky stellte nun einen Antrag auf Hafturlaub für die standesamtliche Trauung, dieser wurde im Januar 1934 abgelehnt, weil E. ein Politischer ist. Auf dem Ablehnungsschreiben wurde vermerkt: Trauung kann notfalls in Hameln stattfinden.16

In der Haft in Hameln schrieb er mehrere Briefe an seine Verlobte, seine Wirtin und das Landratsamt.17 Seine Führung in Hameln gab keinen Anlass zur Klage. Gelegenheit zu arbeiten wurde ihm in der Haft nicht gegeben. In einer Tagesbeobachtung wurde seitens des Anstaltspersonals festgehalten: (…) seine Zelle hält er sauber. Er ist aber ein forscher und herausfordernder Bursche, der sich in seiner Weise beliebt macht.18

Am 9. September 1934 wurde Eglinsky nach Göttingen entlassen.19 Dort heiratete er am 20. Oktober seine Verlobte Hulda Vogt. Knapp ein Jahr später, am 22. August 1935, wurde Eglinsky erneut verhaftet und zunächst als politischer Häftling in das Konzentrationslager Lichtenburg überführt. Von dort wurde er nach Buchenwald transportiert.20

Über seine Haft in Buchenwald wissen wir von zwei Hann. Mündener Mithäftlingen. Heinrich Dilcher war ebenfalls Mitglied der KPD. Er kam nach Eglinsky nach Buchenwald und berichtete 1965 darüber: Kurz nach meiner Überstellung in das KZ Buchenwald, am 20.10.1938, lernte ich W. Eglinsky kennen. Da er den politischen Winkel (rot) trug und außerdem aus Göttingen (Nachbarstadt meiner Vaterstadt) war, entstand bald ein gewisses Vertrauensverhältnis.

In dieser Zeit war er Kalfaktor des Lagerführers Hackmann. Er hat Stellung stets und unbeschadet der Gefahr für sich selbst dazu benutzt, um mir und anderen zu helfen. Besonders durch illegales Besorgen von Lebensmitteln aus Beständen der SS hat er sich viel in Gefahr begeben.

Ich möchte darauf hinweisen, daß die geringste Lagerstrafe 25 Peitschenhiebe auf dem Bock war. Diese Strafe hat er übrigens auch mehrmals erlitten. Zu erwähnen ist auch seine vorbildliche Standhaftigkeit gegenüber der SS. Etwa 1940 sollte er irgendwelche Kameraden und bestimmte Zusammenhänge verraten. Trotz tagelanger Folterungen kam kein Wort des Verrates über seine Lippen. Auch bei späterer Unterbringung in eine Sonderabteilung blieb er bei schwerster Arbeit und besonders schweren Bedingungen immer der standhafte Widerstandskämpfer gegen Barbarei und Faschismus. 21

Wilhelm Schumann, auch der Mündener KPD zugehörig, berichtete 1965 für den VVN von seinem Mithäftling: In der Zeit meiner 11 jährigen Inhaftierung als politischer Gegner der NS-Gewaltherrschaft, besonders vom Oktober 1937 bis zum 11. Apr. 1945 als politischer Häftling im Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, lernte ich bereits in den ersten Tagen meiner KZ-Haft, den Kameraden Willi Eglinsky kennen. (...)

Dank seiner Erfahrungen aus dem KZ-Lichtenburg, sowie seiner damaligen körperlichen Verfassung und seiner Kenntnisse über die Terrormethoden der Lager-SS, war Eglinsky ständig bemüht, schwachen und dem Tode nahe stehenden Kameraden zu helfen.

Ich selbst erinnere mich noch heute einer Situation aus dem Jahr 1938, in einem Schachtkommando der SS, in dem ich selbst beschäftigt war. Durch Hunger und lange Jahre Haftzeit, war ich nicht mehr in der Lage, das von der SS zugeteilte Arbeitspensum (14 Stundentag), ausschachten und Loren beladen, zu erfüllen. Täglich wurde ich von den SS-Bewachern durch Stockhiebe und Steinwürfen schwer mißhandelt. Dass ich diese Zeit überstand, verdanke ich meinem Kameraden Willi Eglinsky. Immer dann, wenn die SS-Bewacher durch Gespräche ihre Aufmerksamkeit gegenüber den Häftlingen vernachlässigten, benutzte E. diese Minuten im persönlichen Einsatz, zusätzlich noch meine Loren zu füllen. Mir ist bekannt, daß E. bei späteren ähnlichen Fällen zur Unterstützung und Hilfe für schwache Kameraden, besonders bei Häftlingen anderer Nationen, vom Kommandoführer der SS ertappt wurde und dann wegen nicht Befolgung der Lagerordnung, mit 25 Schlägen auf dem Block von SS-Unterführern ausgepeitscht, und anschließend auf Monate in der Strafkompanie bei Schwerst- und Nachtarbeit und Kostentzug bestraft wurde.

Durch inhaftierte Berufsverbrecher (auch KZ-Häftlinge) wurden im Jahr 1942 alle politischen Häftlinge, die eine Lagerfunktion hatten, denunziert. Diese wurden beschuldigt, die Organisatoren einer illegalen internationalen Widerstandsorganisation im Lager zu sein. Auf Befehl des Lager-Kommandanten erfolgte dann die völlige Isolierung der betr.(effenden) -pol.(itischen) - Häftlinge in eine Sonder-Kompanie, die dann bei halber Verpflegung und Schwerstarbeit täglich 15–16 Stunden unter besonderer SS-Bewachung arbeiten mußten.

Zu diesen ausgesonderten politischen Häftlingen gehörte auch W. Eglinsky. Trotz dieser Isolierung unter den schwersten Lebensbedingungen, hat Eglinsky sich standhaft und auch hilfsbereit gegenüber seinen Kameraden erhalten. E. war in dieser Zeit der Verbindungsmann mit mir, bei der illegalen Beschaffung von zusätzlichen Lebensmitteln für die Sonderkompanie.22

Das Konzentrationslager Buchenwald war durch die Todesmärsche aus den Vernichtungslagern in Polen Anfang des Jahres 1945 überfüllt, es war das größte noch bestehende KZ. In seinen Haupt- und Außenlagern waren 112.000 Häftlinge untergebracht. Am 11. April wurde das Konzentrationslager von den Amerikanern erreicht. Eglinsky glückte die Flucht bereits im Februar und er schlug sich nach Göttingen durch. Schließlich fand er Unterschlupf in einer Schmiede in Bovenden. Sie wurde geleitet von Luise Meyers (KPD Göttingen) Tochter Else und war wahrscheinlich die Schmiede des Vaters von Luise. Karin Rohrig, die Tochter Luise Meyers, erinnert sich: Kurz vor Kriegsende stand eines abends ein Mann mit Bart und dunkler Brille bei uns in der Tür. Meine Mutter und meine Großmutter sprangen sofort auf und drängten ihn in der Flur. Dann durfte ich einige Tage nicht in der Scheune spielen. Später habe ich erfahren, dass der Mann der Kommunist Willi Eglinski war, der aus dem Konzentrationslager geflohen war und einige Tage bei uns Unterschlupf fand. Mir war gesagt worden, dass ich über den abendlichen Besuch nicht sprechen dürfte, weil sonst etwas Schlimmes passieren würde.23

Nach Kriegsende begann auch in Göttingen die Suche nach prominenten Parteimitgliedern. Da Eglinsky alle „Nazi-Größen“ kannte, unterstützte er die CIA und holte die Betreffenden teilweise zusammen mit den amerikanischen Beamten ab.24 Aber Eglinsky betätigte sich auch eigenverantwortlich. Er forschte nach einem Beamten der Steuerverwaltung, dessen Frau, Ida Achilles, ein Geschäft betrieb. Im Juni 1945 suchte Eglinsky dieses zusammen mit einem Dr. Schreiber auf und versuchte den Aufenthaltsort des Steuerbeamten zu erfragen. Vor den wartenden 40 Kundinnen entspann sich ein erregter Wortwechsel, zu dem die Polizei vermerkte: Des weiteren äußerten sich die zwei Herren in beleidigendem Ton, dass es eine Schande sei, dass solche Nazi-Schweine noch hier lebten und die Leute bei ihnen einkauften. Sie drohten, außen am Geschäft Zeichen anzubringen, sodass niemand mehr das Geschäft betreten würde.25

Neben diesen individuellen Aktionen schloss sich Willi Eglinsky dem Komitee ehemaliger KZ-Häftlinge an, das sich spätestens im Sommer 1945 in Göttingen gegründet hatte. Dieses wandte sich im August im Namen von Fritz Körber (ISK), Karl Grüneklee (SPD) und Willi Eglinsky (KPD) an den OB Erich Schmidt:
Das Komittee möchte sich um alle Opfer des Faschismus kümmern. Um diese zu unterstützen und Missbrauch auszuschließen, hat sich das Komittee in Göttingen gegründet. Die Unterzeichneten kennen die Bedingungen der KZ-Haft sowie die in Göttingen. Dies ist notwendig, um Informationen zu erlangen und um Entscheidungen in Eigentumsfragen zu treffen. Wir schlagen deshalb vor, dass sich ehemalige KZ-Insassen zuerst an das Komittee wenden. Dieses würde den Fall begutachten und zertifizieren und für eine Unterstützung durch die Stadt freigeben. Zudem sieht das Komittee die Notwendigkeit, durch Spenden die ehemaligen KZ-Insassen zu unterstützen. (...)26

Zusammenschlüsse und Vereinigungen von Deutschen trafen grundsätzlich auf den Argwohn der Besatzungsmacht. Anfang November teilte die Militärregierung dem OB mit, dass die Militärregierung für die Region Hannover das Komitee verboten hatte.27 Die Beargwöhnung des als politische links eingeschätzten Komitees führte zu einer wechselnden, sich teilweise widersprechenden Politik gegenüber den ehemaligen KZ-Häftlingen. Im März 1946 wurde dem nun immerhin „inoffiziellen“ Komitee zumindest erlaubt, Spenden für ehemalige politische Häftlinge in Göttingen und Umgebung entgegenzunehmen.28 Im Juni wurde seine Tätigkeit incl. der Sammlungen erneut untersagt, aber Auskünfte zu seinem Arbeitsprogramm, der Finanzierung und eventuell beteiligten Beamten eingeholt.29 Die Skepsis gegenüber der eigenständigen Organisation der politisch Verfolgten drückte sich auch in einem Schreiben der Militärregierung vom Juni 1946 aus, in dem eine Ausarbeitung von Fragebögen zur politischen Verfolgung durch Fritz Körber vorgesehen wurde. Hierzu können das „inoffizielle“ Komitee ehemaliger politischer Häftlinge sowie auch andere ehemalige Häftlinge zwar informiert und hinzugezogen werden, seine Besetzung stehe aber unter Verantwortung des Rats.30

Das Klima für die politisch Verfolgten wurde auch von einem anderen Vorfall beleuchtet. Willi Eglinsky hatte im Februar 1945 auf seiner Flucht den Weg von Buchenwald nach Göttingen mit einem Fahrrad zurückgelegt. Im Oktober berichtete Fritz Schmalz an Willi Eichler aus Göttingen u.a. dazu: Eglinski wurde vor einigen Tagen auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft darüber vernommen, woher er das Fahrrad gehabt habe, mit dem er im Februar, nach 9 1/2 jähriger Haft, aus dem Konzentrationslager entflohen war. Es fehlt nur noch, daß er wegen der Flucht zur Rechenschaft gezogen wird.31

Sonja, die erste Tochter von Hulda und Wilhelm Eglinsky, wurde im Dezember 1945 geboren. Im Mai 1947 folgte ihre Schwester Vera. Spätestens Anfang der 1950er Jahre wohnte die Familie in der Weenderstraße 20.

1951 strebte Eglinsky beim Niedersächsischen Landesausschuss für Sonderhilfssachen ein Anerkennungsverfahren als politischer Häftling an. Dazu musste die Frage der politischen Natur der Verurteilung (...) geklärt werden. Dies gestaltete sich schwierig, da die Akten der Staatsanwaltschaft Göttingen durch Brandeinwirkung vernichtet sind.32

Wilhelm Eglinsky geriet 1954 erneut in Strafverfolgung, diesmal durch die bundesrepublikanischen Strafbehörden. Am 3. März des Jahres wurde er aus der Untersuchungshaftanstalt Hannover nach Göttingen entlassen, das Datum seiner Verhaftung ist unbekannt.33 Am Tag seiner Freilassung erfolgte in Gegenwart seiner Frau eine Haussuchung bei den Eglinskys in der Weenderstraße 20, bei der nicht näher bezeichnete Gegenstände beschlagnahmt wurden.34 Seine Untersuchungshaft und die Durchsuchung führten am 16.5.1955 zu einem Prozess vor dem Oberlandesgericht Celle (Strafakte O Js 7/54). Eglinsky wurde wegen landesverräterischer Beziehungen in Tateinheit mit staatsgefährdendem Nachrichtendienst zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt. Als Auflagen wurden festgelegt: Zulässigkeit von Polizeiaufsicht, Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter und des Wahl- und Stimmrechts und der Wählbarkeit auf die Dauer von 5 Jahren. Zudem wurde er zur Entrichtung von 1930,-- DM verurteilt. Es ist anzunehmen, dass Eglinsky nach zwei Jahren wieder freikam. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle mahnte jedenfalls Ende Juli 1957 die Zahlung der von ihm zu entrichtenden Summe an.

Am 20. September 1954 hatte er einen Antrag auf Entschädigung als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung gestellt. Während Eglinsky noch in Haft saß, lehnte der Regierungspräsident als Entschädigungsbehörde aufgrund des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) vom 29.6.1956 seinen Antrag ab: Seine nach Nieders.(ächsischem) Landesrecht beantragte Haftentschädigung und Geschädigtenrente wurden ihm wegen Unwürdigkeit auf Grund seiner Vorstrafen versagt.35

Wilhelm Eglinsky saß als Kommunist in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Deutschland in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern. Er starb an den Folgen seiner zahlreichen Gefängnisaufenthalte am 4.3.1964 in Göttingen.36



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Literatur und Quellen

Belz, Willi (1978): Die Standhaften. Über den antifaschistischen Widerstand in Kassel und im Bezirk Hessen-Waldeck 1933-1945. 2. Auflage. Kassel.

Durchsuchungen und Festnahmen: Verfolgung Systemgegner. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 9.

Entschädigungsakte Eglinsky, Willi: VVN - Eglinsky. Archiv des VVN-BdA Niedersachsen e.V., Fach 12, Nr. 96.

Gefangenenkarteikarte Wilhelm Eglinsky: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Karteikarte 33/1518.

Gefangenenpersonalakte Willi Eglinsky: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 1503.

Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946): Berichte Nachkrieg. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000059.

KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 155, Nr. 1a.

Material Hannah Vogt. Stadtarchiv Göttingen, Kl. Erwerbungen Nr. 118.

Rohrig, Karin (2015): Erinnerungen an die Familie / Widerstand und Selbstbehauptung im Nationalsozialismus. Erzählcafé Göttingen. Verein für freie Altenarbeit. Goldgraben 14, 06.05.2015.

Stadtverwaltung und Militärregierung: Film 306. Stadtarchiv Göttingen, Stadtverwaltung und Militärregierung A 11.

Stadtverwaltung und Militärregierung, Einsetzung und Tätigkeit des Kreis-Sonderhilfs-Ausschusses Göttingen. Stadtarchiv Göttingen, Stadtverwaltung und Militärregierung I 76.

Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik: Schutzhaft. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 2, Bd. 1.



1Gefangenenkarteikarte Wilhelm Eglinsky, S. 1

2Material Hannah Vogt, S. 3, Kassenbuch KPD Göttingen, Ausgaben Januar–1931

3Gefangenenpersonalakte Willi Eglinsky, S. 43–45, 27.10.1931 - Urteil Auflauf …

4Ebenda, S. 3, 5.9.1951 - Eglinsky an Strafanstalt Hameln – Anerkennungsverfahren.

5Ebenda, S. 38, 1932 - Stammblatt Eglinsky.

6Durchsuchungen und Festnahmen, S. 5, Bericht Günther: Verhaftung und Schutzhaft Willi Eglinski, 5.4.1933.

7Ebenda, S. 5v, Stellungnahme Eglinsky zur Verhaftung 6.5.1933.

8Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 145v, Bericht Griethe, Zahl der Schutzhäftlinge, 13.4.1933.

9KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 162–163, Ortspolizei, Brief Eglinsky, 14.4.1933.

10Durchsuchungen und Festnahmen, S. 10, 10.6.1933: Haussuchung bei Willi Eglinsky und Johann Osche. Die beschlagnahmten Schriften waren: 2 Bücher über die Sowjet-Union, 1 Buch Leo Trotzki über Lenin, 1 Heft Das neue Russland, 1 Heft Volkskalender 1933, 2 Hefte Herold der Christlichen Wissenschaft, 2 Hefte des I.S.K. Jahrgang 32 und 33, 1 Heft Proletarische Bildungsarbeit, 1 Heft Kein Frommer soll am Leben bleiben, 1 Verzeichnis über Bibliothek-Bücher der kommunistischen Jugend und 9 Ansichtskarten der Roten Hilfe.

11Ebenda, S. 11, Ortspolizei: Überwachung Willi Eglinsky (Geismarlandstraße 25c) und Johann Osche (Lange Geismarstraße 59), 19.8.1933.

12Ebenda, S. 11, Ortspolizei: Überwachung Willi Eglinsky (Geismarlandstraße 25c) und Johann Osche (Lange Geismarstraße 59), Bericht 13.10.1933.

13Gefangenenpersonalakte Willi Eglinsky, S. 37, 22.11.1933- Eingabe Eglinskys an Untersuchungsrichter.

14Ebenda, S. 23, 28.12.1933 - Abschrift Strafsache Eglinsky „Flugschriften“.

15Ebenda, S. 21, 19.12.1933 - Gerichtsgefängnis Göttingen an Strafgefängnis Hameln - Transport Eglinsky.

16Ebenda, S. 27, Januar 1934 – Antrag Eglinsky auf Hafturlaub wegen Verheiratung.

17Ebenda, S. 11, Briefanträge für Eglinsky 1518/33).

18Ebenda, S. 30, 19.6.1934 – Tagesbeobachtung.

19Ebenda, S. 31, 9.9.1934 Entlassungsvermerk Hameln.

20Entschädigungsakte Eglinsky, S. 1, 9.12.1957 Regierungspräsident Entschädigungsbehörde Sache Eglinsky.

21Ebenda, S. 9, 12.10.1965 - Eidesstattliche Erklärung Heinrich Dilcher.

22Ebenda, S. 10, 1.10.1965 - Eidesstattliche Erklärung Wilhelm Schumann.

23Rohrig 2015, S. 4, 1945 - Bovenden, Kriegsalltag, Versteck KPD, Kriegsende.

24Entschädigungsakte Eglinsky, S. 1, 9.12.1957 Regierungspräsident Entschädigungsbehörde Sache Eglinsky.

25Stadtverwaltung und Militärregierung, S. 59, 23.6.1945 - KrimAbt – Bericht.

26Stadtverwaltung und Militärregierung, Einsetzung und Tätigkeit des Kreis-Sonderhilfs-Ausschusses Göttingen, S. 123, 7.8.1945 - Komittee ehemaliger KZ-Häftlinge an OB - Vorschlag zur Vorgehensweise.

27Ebenda, S. 2, 8.11.1945 - Public Safety an - Verbot des Komittees für Kz-Häftlinge.

28Ebenda, S. 27, 28.3.1946 – Reg.Präs. Hildesheim - Berechtigungsschreiben Körber.

29Ebenda, S. 58, 4.6.1946 - OB an Gustav Weiß - Komittee ehem. politischer Häftlinge - Einstellung der Arbeit.

30Ebenda, S. 3, 15.6.1946 - MilGov an Oberstadtdir. - Unterstützung für ehemalige Insassen von KZs.

31Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946), S. 8, Fritz Schmalz aus Göttingen an Willi Eichler, 1.10.1945, ISK Box 61, maschinenschriftlich.

32Gefangenenpersonalakte Willi Eglinsky, S. 3, 5.9.1951 - Eglinsky an Strafanstalt Hameln – Anerkennungsverfahren.

33Entschädigungsakte Eglinsky, S. 18, 3.3.1954 - Entlassungsschein Willi Eglinsky.

34Ebenda, S. 19, 3.3.1954 - Durchsuchungsprotokoll Wohnung Eglinsky.

35EbendaEbenda, S. 1, 9.12.1957, Regierungspräsident Entschädigungsbehörde Sache Eglinsky.

36Ebenda, S. 7, VVN an Reg.Präs. Antrag Wiedergutmachung Hulda Eglinsky.

Rainer Driever