Antifaschistische Arbeiterwehr

Die Göttinger ANTIFA, die Antifaschistische Arbeiterwehr, wurde im Anschluss an eine Demonstration am 9. Mai 1930 gegründet. Sie hatte von Anfang an 60 Mitglieder, die aus verschiedenen Organisationen kamen. Die ANTIFA rekrutierte ihre Mitglieder zu Anfang u.a. aus dem Reichsbanner und dem Freidenker-Verband, zudem kamen viele Sympathisanten aus dem Umkreis der ISK. SPD-Mitglieder und Reichsbannerleute wurden sogar ausdrücklich zum Eintritt aufgefordert.1

Der Regierungspräsident in Hildesheim vermutete sofort eine illegale Fortsetzung des Roten Frontkämpferbundes und bat die Göttinger Polizei um Ermittlungen.2 Diese reagierte umgehend und sandte jenem 14 Tage später einen Bericht: Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die gebildete "Antifaschistische Arbeiterwehr" als eine Fortsetzung des verbotenen Rotfrontkämpferbundes anzusehen, denn es handelt sich bei den Personen um dieselben linksradikalen Elemente, die Mitglieder des Rotfrontkämpferbundes waren bezw. sich öffentlich als Anhänger desselben bekennen. Spenden für den antifaschistischen Kampffonds seien gesammelt, einzelne Mitglieder jedoch noch nicht festgestellt worden. Bei den folgenden Ermittlungen konnte jedoch der Vorwurf der illegalen Weiterführung nicht verifiziert werden.3

Im Sommer 1930 hatte die Attraktivität der neuen Organisation zugenommen, die von dem Göttinger Kaufmann und KPD-Mitglied Fritz Schaper geführt wurde. Inzwischen waren weitere 19 Mitglieder des Reichsbanners eingetreten.4 Der Sommer verlief einigermaßen ruhig, Auseinandersetzungen mit der SA gab es nicht. So berichtete die Polizei auch, dass keine größeren Eintrittszahlen zu verzeichnen seien und bei ihren Aufmärschen immer wieder dieselben 40-50 Personen gezählt würden.5

Am Antikriegstag am 2. August 1930 waren an Kundgebung und Demonstration bereits 130 Personen beteiligt, darunter 20 Frauen und Kinder. Die Polizei bemerkte, dass man bei den Demonstrationen inzwischen stets eine rote Fahne mit dem Aufdruck „Antifaschistische Arbeiterschaft Göttingen“ mitführte.6 In den beiden Nächten im Anschluss an den Antikriegstag kam es zu Zusammenstößen von Nationalsozialisten und Mitgliedern der Freien Gewerkschaften vor dem Volksheim. Diese waren Anlass für eine antifaschistische Demonstration am 6. August, die von den Göttinger Gewerkschaften veranstaltet wurde. An dieser beteiligte sich auch die ANTIFA, deren Mitgliederzahl inzwischen aufgrund der Zusammenstöße mit den Nazis angewachsen war.7

Bis zum Herbst 1930 verstärkte die ANTIFA ihre Agitation. Diese Gruppe veranstaltet seit einiger Zeit in Uniform mit ihrer Schalmeienkapelle öffentliche Umzüge im Stadt-und Landkreise. Die Uniform besteht aus blauer Bluse mit Koppel und blauer Mütze. Auf dem linken Aermel befindet sich auf ovalem roten Untergrund Hammer‚ Sichel und Schwert. Das Koppelschloss trägt das Sowjetzeichen.8 Die Mitgliedszahlen stiegen noch einmal an und lagen im September bei 100 Personen.9

Im Herbst kam es zu einer ansteigenden Zahl von Versammlungen und Aufmärschen. Trotz Verbots nahmen an dem Aufmarsch der Antifa in den Abendstunden des 13.12.1930 ungefähr 65 Menschen teil, die allerdings in bürgerlicher Kleidung marschierten.10

Bis Dezember 1930 stieg ihre Zahl auf 300 Mitglieder, in diesem Monat kam es zur Spaltung der Organisation.11

Ende Dezember 1930 wurde eine Ortsgruppe des Kampfbundes gegen den Faschismus in Göttingen gegründet, der aus Flügelkämpfen innerhalb der KPD hervorging. Diese führten letztlich im darauffolgenden Frühjahr zum Parteiausschluss des ANTIFA- Führers Willi Schaper und seiner Anhänger aus der KPD und der ANTIFA. Die ausgeschlossene Gruppe tendierte eher zum Spartakusbund (Zusammenschluss linkskommunistischer Gruppen, in Göttingen nicht vertreten), einer „linksabweichlerischen“ Strömung. Oskar Knodt hatte somit die Parteilinie durchgesetzt.

1931

Nach dem Ausschluss bildeten Anfang 1931 die Verbleibenden als größerer Teil der ANTIFA die neue Ortsgruppe des Kampfbundes gegen den Faschismus, die etwa 130 Mitglieder umfasste. Schaper scheint die Führung noch bis zum Februar 1931 inne gehabt zu haben, sie wurde dann vom Arbeiter August Todtenhagen übernommen.12

August Todtenhagen wurde noch im Frühjahr 1931 wegen Differenzen abgesetzt und ebenfalls aus der KPD ausgeschlossen. Die Führung des Kampfbundes, der inzwischen auf 300 Mitglieder angewachsen war, ging auf Gustav Kuhn über.13

Ende Mai kam es zu einer Demonstration des Kampfbundes mit 94 Teilnehmern,14 am nächsten Tag wurde eine Versammlung in den Göttinger Festsälen mit dem Thema Anfang und Ende des Faschismus abgehalten. Ungefähr 170 Personen waren anwesend, darunter wiederum viele Frauen.15 (Polizeibericht PDF)

Zu einer weiteren größeren Versammlung des Kampfbundes kam es am 23. Oktober, wiederum in den Göttinger Festsälen. Detailliertes Polizeiprotokoll (Polizeibericht PDF)

1932

Noch während des Jahres 1931 kam es zur Zersplitterung der linken Kräfte und ihrer Führung in Göttingen. Im zweiten Halbjahr ging die Mitgliederzahl des Kampfbundes erheblich zurück. In einer Aufstellung der Mitglieder vom 1. Januar 1932 zählte man 131 Mitglieder, ihre Zahl hatte sich mehr als halbiert. Die politische Leitung lag nun in Händen des kommunistischen Parteisekretärs Gmeiner16, ging aber noch im Januar 1932 auf den Arbeiter Franz Wolf über,17 der diese vertretungsweise für den inhaftierten Kuhn ausübte. Wolf wiederum legte nach Kontroversen um die Führung sein Amt im Sommer 1932 nieder, die provisorische Führung ging wieder auf Gustav Kuhn über.18 Diese Unstimmigkeiten hatten Auswirkungen auf die Mitgliederzahl des Kampfbundes, sie ging bis zum Herbst 1932 noch einmal auf 60-70 zurück.19 Zumindest die Führer des Kampfbundes wurden überwacht.20 (Überwachung Wolf PDF)

Die Versammlungen des Kampfbundes wurden weiterhin genau beobachtet. Eine Veranstaltung am 28. März im Volkshaus in der Wiesenstraße wurde von der Polizei aufgelöst.21

Trotzdem wurden weiterhin durchaus gut besuchte Veranstaltungen organisiert, wie am 6. April 1932 im Volkshaus. Thema war der zweite Wahlgang der Reichspräsidentenwahl am 10. April, die Versammlung wurde von 200 Personen besucht.22

Zur den Landtagswahlen in Preußen am 24. April 1932 wurde der Kampfbund wieder aktiv und veranstaltete eine Straßenagitation für ihren Kandidaten Thälmann an den letzten drei Tagen vor der Wahl. Zu diesem Zweck fuhr ein Wagen durch die Stadt, auf dem eine Litfaßsäule aufgestellt war. (deren Höhe von der Polizei auf 2,25 m begrenzt wurde).23 (Wahlkampfaktion Preußenwahl PDF)

Der Bezirksverbandsleiter Niedersachsen des Kampfbundes Friedrich Lerch aus Hannover, setzte vom 24. bis zum 26. Juni einen Generalalarm an, der von den Ortsgruppen als Großwerbe- und Sammeltag genutzt werden sollte. Diese Aktionen wurden allerdings in Göttingen nicht beobachtet.24

Nach der Machtergreifung waren Mitglieder wie Führung von der Repressionswelle gegen die KPD betroffen. Inhaftierungen und Haussuchungen führten dazu, dass die Mitglieder nicht mehr öffentlich in Erscheinung traten und ihre Zahl schnell zurückging.25 Der Kampfbund löste sich parallel zur Ortsgruppe der KPD auf. Einige Mitglieder saßen im Herbst 1933 wegen „staatsfeindlicher Umtriebe“ im Gerichtsgefängnis Göttingen (u.a. Schaper, Weitemeier, Möhring), Gustav Kuhn war noch im Konzentrationslager Moringen inhaftiert.26 Ein Polizeibericht vom März 1934 äußerte sich in diesem Sinne; Gustav Kuhn wurde inzwischen am 19. Dezember aus dem Konzentrationslager Lichtenburg entlassen. Die Göttinger Ortsgruppe des Kampfbundes trat nicht mehr in Erscheinung. So liegen auch über die Mitgliederzahlen ab der zweiten Hälfte des Jahres 1933 keine Erkenntnisse mehr vor.27



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Literatur und Quellen:

Fricke, August (1981): Erinnerungen, Begegnungen, Erfahrungen. Ein Beitrag zur Geschichte der niedersächsischen Arbeiterbewegung. Einbeck: Selbstverl.

KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 155, Nr. 1a.

KPD Göttingen - Antifaschistische Arbeiterwehr (Antifa). Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir.Gö., XXVII, A, Fach 155, Nr. 9.

KPD Göttingen - Versammlungen und Umzüge des Kampfbundes gegen den Faschismus. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 155, Nr. 10.



1KPD Göttingen - Antifaschistische Arbeiterwehr (Antifa), S. 2, 1930 - Gründung der Arbeiterwehr.

2Ebenda, S. 1, Regierungspräsident Hildesheim an Ortspolizei, Übersendung Zeitungsartikel über die am 9.5.1930 in Göttingen gegründete Antifa, 15.5.1930.

3Ebenda, S. 5, 30.5.1930 - Polizeibericht an Regierungspräsidenten.

4Ebenda, S. 5v, Bericht Ippensen - Antifa - Führung, 12.6.1930.

5Ebenda, S. 8, antifaschistische Arbeiterwehr, Bericht Griethe vom 15.7.1930.

6Ebenda, S. 8v, antifaschistische Arbeiterwehr, Bericht Griethe vom 4.8.1930.

7Ebenda, S. 9, Zusammenstöße, Anwachsen der Antifa, Bericht von Griethe vom 9. September 1930.

8Ebenda, S. 18, Bericht 2. September 1930.

9Ebenda, S. 9v, Antifa.

10Ebenda, S. 10, Bericht Ippensen 15.12.1930.

11Ebenda, S. 9v, Mitgliederzahl, Bericht vom 15.12.1930, Bericht Ippensen.

12Ebenda, S. 17, Antifa - Bericht Griethe an Regierungspräsident Hildesheim, Polizeipräsident Hannover vom 4. Februar 1931.

13Ebenda, S. 11.

14KPD Göttingen - Versammlungen und Umzüge des Kampfbundes gegen den Faschismus, S. 1v, Ortspolizei, Bericht 28.5.1931.

15Ebenda, S. 5-8v, Bericht Ippensen zur Veranstaltung am 29.5.1931.

16KPD Göttingen - Antifaschistische Arbeiterwehr (Antifa), S. 12, Bericht Griethe vom 20. Januar 1932.

17Ebenda, S. 12v, Bericht Griethe, 12. April 1932, Führung Kampfbund.

18Ebenda, S. 13, Bericht Griethe, 20. August 1932.

19Ebenda, S. 13v,.Bericht Griethe, 22. Oktober 1932, Rückgang der Mitgliederzahlen.

20KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 60-60v, Ortspolizei Bericht Franz Wolf, 15.2.1932.

21KPD Göttingen - Versammlungen und Umzüge des Kampfbundes gegen den Faschismus, S. 16, 30.4.1932: Regierungspräsident Hildesheim an Gustav Kuhn u. Ortspolizei, Beschwerde.

22Ebenda, S. 17, Anmeldung einer Veranstaltung des Kampfbundes, an die Ortspolizei, 6.4.1932.

23Ebenda, S. 18, Kampfbund an Ortspolizei, Preußen.

24KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 65, Regierungspräs. Hildesheim an Ortspolizei, Kampfbund, 18.6.1932.

25KPD Göttingen - Antifaschistische Arbeiterwehr (Antifa), S. 13v, Bericht Ippensen, 25. April 1933.

26Ebenda, S. 14-14v, Bericht, 4. November 1933, Kampfbund.

27Ebenda, S. 14v, Bericht, 14. März 1934.

Rainer Driever