Abriss der Stadtgeschichte

Die Universität hatte nach einem vorübergehenden Rückgang von Ansehen und Studentenzahlen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und insbesondere unter preußischer Verwaltung einen erstaunlichen Wiederaufschwung erlebt, der vor allem die naturwissenschaftlichen Disziplinen betraf. Beginnend mit Johann Carl Friedrich Gauß, der seit 1807 bis zu seinem Tode 1855 in Göttingen lehrte, lebten und wirkten an der Georgia Augusta zahlreiche weltberühmte Wissenschaftler. 10-DM-Schein Der 10-DM-Schein trägt diesen Ruhm Göttingens in alle Welt. Spätestens seit Beginn des letzten Jahrhunderts galt die Stadt weltweit als "Mekka der Naturwissenschaften", das zahlreiche Nobelpreisträger hervorbrachte. Es sollen nur jene Professoren genannt werden, die bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 während ihrer Tätigkeit in Göttingen mit dem Nobelpreis geehrt wurden: Otto Wallach (Chemie 1910), James Franck (Physik 1925), Richard Zsigmondy (Chemie 1925) und Adolf Windaus (Chemie 1928). Max Born, von 1922 bis zu seiner erzwungenen Emigration 1933 Professor in Göttingen, erhielt für seine grundlegenden Forschungen aus dieser Zeit 1954 den Nobelpreis für Physik. Nach oben
Die militärische Niederlage der deutschen Heere im Herbst 1918 ließ das politische System des von Bismarck gegründeten deutschen Kaiserreiches zusammenbrechen. In der Novemberrevolution des gleichen Jahres wurden überall in Deutschland die Monarchen von den Thronen gestürzt, und es entstand erstmals auf deutschem Boden ein demokratisches Staatswesen. Diese sog. Weimarer Republik blieb jedoch nicht zuletzt aufgrund der ablehnenden Haltung weiter Kreise des national-konservativ gesinnten Bürgertums und der führenden Schichten in Militär, Verwaltung, Justiz und Wissenschaft politisch instabil. Da diese Gruppen in Göttingen überproportional stark vertreten waren, verwundert es nicht, Heinrich Himmler dass auch die Nationalsozialisten hier sehr früh, d.h. schon in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre, Fuß fassen konnten und kräftigen Zulauf hatten. Göttingen entwickelte sich schnell zu einer ausgesprochen "braunen" Stadt, einer Hochburg der Nazis. Die Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wurde von Stadt und Universität festlich begangen, am Tage vor der Reichstagswahl vom 5. März des gleichen Jahres konnte die SA auf dem Rathaus ungehindert die Hakenkreuzfahne hissen. Dementsprechend reibungslos verlief die sog. Machtübernahme in der Göttinger Stadtverwaltung: der konservative Oberbürgermeister Bruno Jung - selbst nicht NSDAP-Mitglied - blieb zwar im Amt, die Verwaltung folgte von nun aber uneingeschränkt den Vorgaben der Hilter-Partei; 1938 wurde dann mit Albert Gnade ein ausgewiesener Nationalsozialist und SS-Mann Göttinger Oberbürgermeister. Wenn Nazi-Größen, wie SS-Führer Heinrich Himmler am 5. Mai 1934, Göttingen besuchten, bereiteten die Bürger ihnen regelmäßig einen begeisterten Empfang. Nach oben
Die Herrschaft der Nationalsozialisten im sog. "Dritten Reich" gründete sich auf Terror und Unterdrückung. Politische Gegner wie Sozialdemokraten und Kommunisten, gläubige Christen aller Konfessionen und viele andere Gruppen, vor allem aber die sog. "rassisch Minderwertigen" wie Juden und Zigeuner, wurden drangsaliert, inhaftiert, vertrieben und ermordet. Dies alles geschah in der Regel nicht wild und ungezügelt, sondern in geordneter, ja ordentlicher Weise, verwaltungsmäßig und damit letztlich auch öffentlich. Menschen jüdischen Glaubens oder mit jüdischen Vorfahren wurden systematisch aus Verwaltung, Synagogenmahnmal Wirtschaft und Wissenschaft verdrängt, durch Boykottmaßnahmen materiell ruiniert, in Ghettos (sog. Judenhäusern) zusammengetrieben und schließlich ermordet. Die Synagoge an der Maschstraße ging 1938 in Flammen auf, die letzten etwa 140 Mitglieder der vor 1933 über 400 Personen zählenden jüdischen Gemeinde wurden 1942 in zwei Transporten aus den fünf Göttinger Judenhäusern in die Vernichtungslager deportiert. Die Unmenschlichkeit, die damals in Deutschland und Göttingen herrschte, machte auch nicht davor halt, selbst Kinder in den Tod zu schicken: der jüngste der Deportierten war der erst dreijährige Denni Junger. Nur wenige überlebten den Völkermord. Das eindrucksvolle, von Corrado Cagli gestaltete Mahnmal am Standort der ehemaligen Synagoge erinnert an diese Verbrechen. Nach oben
Den Zweiten Weltkrieg, der am 1. September 1939 mit dem Angriff Deutschlands auf Polen begann, hat Göttingen - verglichen mit benachbarten Städten wie Kassel oder Hildesheim - glimpflich überstanden. Das Ende verlief unblutig: aufgrund glücklicher Umstände und durch das Zusammenwirken besonnener Akteure konnte die Stadt am 8. April 1945 kampflos von amerikanischen Truppen besetzt werden. Heinrich Dücker Die alliierten Sieger hatten nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschland in vier Besetzungszonen aufgeteilt, wobei Göttingen der britischen Zone zufiel. Zu Beginn des Jahres 1946 wurde dort und damit auch in Göttingen eine neue, demokratische Kommunalverfassung eingeführt, durch die die Führung der Kommunen auf zwei Funktionen verteilt wurde: der ehrenamtliche Oberbürgermeister übernahm als Vorsitzender des Stadtrates die politische Repräsentation, der hauptamtliche Oberstadtdirektor leitete die Verwaltung. Als Ergebnis der ersten Kommunalwahl vom 13. Oktober 1946 übernahm der SPD-Politiker Heinrich Düker als erster demokratisch gewählter Oberbürgermeister dieses Amt. Nach oben
Bei all den Schwierigkeiten der Nachkriegszeit bedeuteten die Unversehrtheit von Stadt und Universität, die mit Erlaubnis der britischen Besatzungsmacht bereits zum Wintersemester 1945/46 ihren Lehrbetrieb wieder aufnahm, einen unschätzbaren Startvorteil. Göttingen wurde zum Sammelbecken für Menschen vor allem aus akademischen und künstlerischen Berufen. Werner Heisenberg, bereits in den zwanziger Jahren als Privatdozent an der Göttinger Universität tätig, kehrte 1946 hierher zurück und lehrte von 1947 bis 1958 an der wiederaufblühenden Georgia Augusta. Am 26. Februar 1948 wurde in Göttingen die Max-Planck-Gesellschaft gegründet, deren erster Präsident der Nobelpreisträger und spätere Göttinger Ehrenbürger Otto Hahn war. Im gleichen Jahr versammelten sich in Göttingen am 19. November vom Nationalsozialismus unbelastete Schriftsteller, unter ihnen Erich Film-Atelier Göttingen Kästner und Johannes R. Becher, später Kulturminister der DDR, zur Gründung des deutschen PEN-Clubs. So war es auch kein bloßer Zufall, dass Rolf Thiele und Hans Abich hier 1945 die Filmaufbau GmbH gegründet und die Stadt an der Leine so zu einem Zentrum der bundesdeutschen Spielfilmproduktion in den 50er Jahren gemacht hatten. Im Studio der Filmaufbau auf dem Gelände des ehemaligen Wehrmachtsflugplatzes zwischen Grone und Holtensen entstanden in den Jahren 1949 bis 1961 über hundert Spielfilme, darunter so bekannte Streifen wie "Liebe 47", "Das Haus in Montevideo", "Königliche Hoheit" und "Rosen für den Staatsanwalt". Nach oben
Trotz des sich vielfältig und bunt entfaltenden neuen Lebens hatten sich in der 1949 gegründeten Bundesrepublik für Göttingen die Rahmenbedingungen grundsätzlich eher verschlechtert. Aus einer zentralen Lage innerhalb Deutschlands war es an die Peripherie gerückt, und die im Zuge des Kalten Krieges immer undurchlässiger werdende innerdeutsche Grenze schnitt die Stadt von einem wesentlichen Teil ihres alten Einzugsgebietes und Hinterlandes ab. Vierzig Jahre mussten vergehen, bis nach dem Zusammenbruch der DDR im Herbst 1989 und dem Beitritt der fünf ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik Göttingen jetzt wieder "mitten in Deutschland", ja in Europa liegt. Nach oben
Luftbild
(Auszug aus: Ernst Böhme: Göttingen: kleiner Führer durch die Stadtgeschichte)


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