Chronik für das Jahr 1951

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1. November 1951

Die in Westdeutschland bestehende ernste Kohlenknappheit, die sich in einer völlig unzureichenden Versorgung der Haushaltungen unliebsam bemerkbar macht, hat zu Einsparungen von elektrischem Strom für die Großindustrie geführt. Aber auch Schaufenster- und Reklame-Beleuchtung werden davon betroffen, die bis zum 31. März 1952 von 19.30 Uhr ab verboten ist.

Mit einer schlichten Feier wurden auf dem Zentralfriedhof heute die Urnen von Professor Walther Nernst und seiner Gattin beigesetzt. Der große, 1941 verstorbene Physochemiker und Nobelpreisträger wirkte von 1890 bis 1904 an der Göttinger Universität und erfand hier das nach ihm benannte Nernst-Licht. Seine Urne war bisher auf dem St. Thomas-Friedhof zu Berlin-Neukölln, die seiner 1949 verstorbenen Gattin in London beigesetzt. Auf Wunsch der in Göttingen lebenden Angehörigen fanden beide Urnen nun hier eine würdige Heimstatt.

2. November 1951

Stadtschulrat Buchheim führte in einer Feierstunde Rektor Willi Fehse in sein Amt als Leiter der neunten Volksschule (abend Nikolausberger Weg) ein.

Im Hotel "Rheinischer Hof" in der Jüdenstraße hat seinen bis 1945 geführten alten nahmen "Central-Hotel" wieder angenommen.

8. November 1951

Das Institut für Pflanzenpathologie an der Universität beging das Richtefest seines Neubaues am unteren Nikolausberger Weg.

9. November 1951

Göttingen erlebte heute einen großen Tag. Aus Anlaß des 200 jährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen weilte Bundespräsident Professor Dr. Heuss hier. Der war gestern Abend eingetroffen, nahm im Hotel "Kaiser Wilhelm-Park" auf dem Hainberg Wohnung und stattete heute Morgen dem Max-Planck-Institut einen Besuch ab. Von dort fuhr der Präsident zum Rathaus, wo ihm die Stadt einen offiziellen Empfang bereitete. Oberbürgermeister Föge hieß das Staatsoberhaupt namens des Rates und der Bürgerschaft willkommen, worauf der Präsident in seiner schwäbisch-schlichten, auch humorvollen Weise dankte. Er fand auch gewichtige Worte über die Bedeutung Göttingens: "Es ist immer eine Weltbezüglichkeit in Göttingen gewesen" oder: "Göttingen ist eine kleine Stadt, durch die aber Ströme der Welt gehen". Nach der Ansprache trug sich der Bundespräsident in das "Goldene Buch" der Stadt ein. Seit Jahrhunderten ist heute zum ersten Mal wieder ein Staatsoberhaupt im Göttinger Rathaus empfangen worden. Ein zwangloses Gespräch mit einem kleinen Imbiß schloß sich an, dann verabschiedete sich der Bundespräsident und fuhr zum Max-Planck-Institut zurück. In den Straßen, die der Präsident durchfuhr, vor allem aber auf dem mit schwarz-rot-goldenen Fahnen der Bundesrepublik und der Europa-Fahne (dem weißen "E" im grünen Feld) geschmückten Marktplatz, auf dem Tausende versammelt waren, wurde Professor Heuss lebhaft begrüßt. Die Schulen hatten ein diesem Tag keinen Unterricht.

Am Nachmittag nahm der Bundespräsident an einer wissenschaftlichen Sitzung der Akademie teil. Darauf brachte die Studentenschaft ihm und jubilierenden Akademie auf dem Wilhelmsplatz einen Fackelzug, der sich dann zum Theaterplatz bewegte und dort ein Spalier bildete, als der Bundespräsident zur Festvorstellung fuhr. Das "Deutsche Theater" gab Hugo von Hoffmannsthals Schauspiel "Der Turm".

10. November 1951

Der heutige eigentliche Festtag der Akademie sah eine glänzende Versammlung europäischen Gelehrtentums, als der Bundespräsident, von dem derzeitigen Präsidenten der Akademie, Nobelpreisträger Professor Werner Heisenberg, in die Aula der Universität geleitet wurde. Der gastgebende Präsident konnte neben dem Staatsoberhaupt, Ministerpräsident Kopf, Kultusminister Vogt, Minister Schellhaus von der Niedersächsischen Landesregierung, die Vertreter der Alliierten Oberkommission und die stattliche Reihe der Abgesandten in- und ausländischer Akademien begrüßen. Darunter Vertreter der Wiener Akademie, das Institut de France in Paris, das drei Gelehrte entsandt hatte, der zwei Professoren der Dänischen Akademie in Kopenhagen, der Schwedischen in Stockholm, der Finnischen in Helsingfors, der Niederländischen in Amsterdam sowie der Schweizer Naturforschenden Gesellschaft in Bern. Die Royal Society in London hatte sich durch Professor Bohr von der Kopenhagener Akademie vertreten lassen. Die Rektoren der Universitäten des Bundesgebietes waren im Schmuck ihrer Amtsketten erschienen. Sonst fiel die äußere Schlichtheit der in- und ausländischen Gäste auf. Nur sie drei Vertreter des Instituts de France waren ordensgeschmückt in ihren bestickten Galauniformen mit Zweispitz und Galanteriedegen erschienen.

In der stattlichen Reihe der Begrüßungsansprachen nahm die des Bundespräsident einen besonderen Platz ein, sie sich durch wissenschaftlichen Ernst wie ebenso den humorvollen Unterton auszeichnete. - Den Festvortrag über das Thema "Albrecht von Haller und die Physiologie" hielt der Präsident der Schweizer Naturforschenden Gesellschaft, Professor Dr. von Muralt-Bern, der ein glänzendes Bild von dem Gründer der Göttinger Akademie, dem Berner Albrecht von Haller, zeichnete.

Auf dem "Rohns" vereinigte die Gäste der Akademie anschließend ein Festessen, bei dem Kultusminister Vogt den Trinkspruch auf das Staatsoberhaupt, "aber ebenso auch auf den gütigen Menschen Theodor Heuss" ausbrachte. Mit einem Beisammensein der Festgäste mit dem Lehrkörper der Universität auf dem "Rohns", an dem der Bundespräsident ebenfalls teilnahm, klang das Jubiläum der Akademie aus.

Professor Heuss hatte am Nachmittag der Akademischen Burse in der Goßlerstraße einen Besuch abgestattet und verließ am folgenden Morgen Göttingen. Durch sein allem Pathos abholdes, freundliches und humorvolles Wesen hat der hohe Gast sich die Sympathien der Göttinger Bevölkerung im reichem Maße erworben.

10. November 1951

Nach zweitägiger Verhandlung fällte heute die Jugendstrafkammer des Landgerichts Göttingen das Urteil über den 17 jährigen Joachim Herbert Rzepka, der am 27. Juni dieses Jahres bei Rittmarshausen den Göttinger Chauffeur Czaja ermordet hatte. In Anbetracht der Jugend des Verbrechers konnte nur auf die für Jugendliche festgesetzte Höchststrafe von 10 Jahren Gefängnis erkannt werden. In der Bevölkerung herrscht darüber starker Unwille.

13. November 1951

Derzeitig schweben sowohl seitens der Stadt- wie der Kreisverwaltung Verhandlungen über den Anschluß der Stadt Göttingen und der Gemeinden des Landkreises an einer von der Elektrizitäts-Aktiengesellschaft-Mitteldeutschland geplante Ferngas-Versorgungsgesellschaft. Das Ferngas wird von Salzgitter kommen, jetzt liegt die Leitung bereits bis Lenglern, das ihr schon angeschlossen ist. Die Kosten für eine Anschlußleitung von Lenglern nach Göttingen betragen allein etwa eine halbe Million Deutsche Mark. Die Verhandlungen schweben noch. Die Stadt Göttingen stellt an ihren Beitritt die Bedingung der Erhaltung ihrer eigenen Gasanstalt und will nur die Haupt-Verbrauchszeiten (morgens, mittags und abends) benötigte Mehr-Menge aus der Ferngasversorgung entnehmen.

15. November 1951

Heute begann hier eine zweitägige Sitzung des Länder-Sachverständigen-Ausschusses für neue Baustoffe und Bauarten.

Das Jugendwohnheim auf dem Egelsberg Göttingen das Richtefest. Das Heim wird mit Mitteln des Bundesjugendplanes von der Stadt erbaut, die das Gelände zur Verfügung gestellt hat.

Auf der Ostseite des Wilhelmsplatzes wurde mit dem Ausschachtungen für eine unterirdische Transformatorenstation und eine ebensolche Bedürfnisanstalt begonnen, der zweiten in Göttingen.

Stadtverwaltungsrat Dr. Ringe schied nach 14 jähriger Tätigkeit aus dem Dienst der Stadt Göttingen. Der wird am Landesverwaltungsgericht in Lüneburg die Stelle eines Verwaltungsrichters einnehmen.

16. November 1951

In der Rathaushalle fand die Eröffnung einer von der Europa-Union eingerichteten Europa-Ausstellung statt. Sie soll durch Darstellung der Bedeutung unseres Erdteils dem Gedanken eines vereinigten Europas und damit der Zukunft der abendländischen Welt dienen.

17. November 1951

785 neue Studenten nahm heute die Georg-August-Universität in feierlichem Immatrikulationsakt auf. Die Gesamtzahl der Studierenden des Winter-Semesters 1951/52 beträgt 4143 und hält damit im Wesentlichen den Stand des vorigen Semesters. Der derzeitige Rektor, Professor D. Dr. Trillhaas, bekannte sich in seiner Verpflichtungsrede zu der abendländischen Tradition, auch der auf die 214 jährige Geschichte der Göttinger Universität beruhe, aber ebenso auch zu einer leidenschaftlichen Absage an die Gelüste zu Restaurierungen vergangener Zeiten und Zustände, die in Westdeutschland gefährlich propagiert werden.

18. November 1951

Vom 18. bis 24. November werden auch in diesem Jahr wieder in den evangelischen Kirchen der Stadt allabendlich Gebetsstunden für die in fremden Ländern noch zurückgehaltenen deutschen Kriegsgefangenen abgehalten.

In der St. Albani-Gemeinde fand heute seit langen Zeiten (vielleicht zum ersten Mal überhaupt) eine Pfarrerwahl Stadt. Von den drei Geistlichen, die unter den Bewerbern in engere Wahl gezogen waren und die ein den letzten Sonntagen Gastpredigten gehalten hatten, wurde Pastor Leiskau aus Restorf mit 426 Stimmen gewählt. Insgesamt waren 574 Stimmen abgegeben worden, von denen zwei ungültig waren. Von den beiden anderen Bewerbern erhielt Pastor Schneidewind aus Wangenstedt 120, Pastor Hoffmann-Wirringen 26 Stimmen.

23. November 1951

Die mit so vielen Schwierigkeiten verbundene und bisher aus mancherlei Veranlassung immer wieder hinausgeschobene Wahl des Oberstadtdirektors sollte heute vom Rat vorgenommen werden, nachdem sich abermals eine Reihe von Bewerbern vorgestellt hatte. Die Wahl konnte aber auch heute wieder nicht zustandegekommen. Der frühere Oberstadtdirektor Glahn hatte eine einstweilige Verfügung beim Oberverwaltungsgericht beantragt, der Stadt die Neuwahl eines Oberstadtdirektors zu untersagen. Das Gericht hat dies zwar kostenpflichtig abgelehnt, aber ausgeführt, es sei rechtlich zweifelhaft, ob ein Oberstadtdirektor nicht, abweichend von der Stellung der übrigen Beamten, auf Grund der Gemeindeordnung einen Anspruch auf Ausübung seines Amtes habe. Das Gericht hielt es daher für zweckmäßig, die Neuwahl erst dann vorzunehmen, nachdem entweder das Zwangspensionierungs-Verfahren oder das gegen den früheren Oberstadtdirektor laufende Dienststrafverfahren rechtskräftig entschieden ist. Infolgedessen haben sich die großen Fraktion im Rat entschlossen, die Wahl bis zu jenem Zeitpunkt auszusetzen.

Unter der Leitung des Kommandeurs der 1. Landespolizei-Bereitschaft, Polizeirat Hilpert-Hannover (früher Polizeikommandant in Göttingen) führte die neuaufgestellte niedersächsische Landesbereitschaftspolizei mit drei Hundertschaften in Göttingen eine großangelegte Einsatzübung durch. Ein Marsch der Hundertschaften mit klingendem Spiel durch die Straßen schloß die Übung ab.

25. November 1951

Am heutigen Ewigkeits-Sonntag wurde in der Felix-Klein-Oberschule für Jungen ein Ehrenmal für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen über 400 Lehrer und ehemaligen Schüler der Anstalt eingeweiht. Weit über die Hälfte der Kriegsopfer war bei Kriegsausbruch noch nicht 20 Jahre alt.

27. November 1951

Mit einer Ansprache des Ordinarius für Kunstgeschichte, Professor Dr. Rosemann, eröffnete heute Abend die Gruppe Südhannover des Bundes bildender Künstler in den oberen Räumen der "Kammerspiele" in der Hospitalstraße ihre diesjährige Ausstellung. Sie vermittelt einen beachtlichen Überblick über das Schaffen einer großen Anzahl in der Stadt Göttingen und im weiteren Südhannover lebenden Künstler, die von der Allgemeinheit leider viel zu wenig beachtet und auch von amtlichen Stellen nicht genügend gefördert werden.


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