Chronik für das Jahr 1948

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1. Juni 1948

Stadtschulrat Hermann Witte trat in den Ruhestand.

Stadtoberinspektor Georg Voß, Leiter des Gemeindesteueramtes, der seit der Pensionierung von Kämmereidirektor Butzmann dessen Geschäfte führte, ist zum Kämmereidirektor ernannt worden.

Mit der vorläufigen Wahrnehmung der Geschäfte des Stadtbürodirektors wurde von heute ab Stadtoberinspektor Hans Brüller betraut.

14. Juni 1948

Auf einer Informationsreise zu den deutschen Hochschulen weilte vom 14. bis 17. Juni eine Delegation der schwedischen Studentenschaft und des Schwedischen Komités des International Student Service in Göttingen.

16. Juni 1948

Mr. Birley, chief adviser for education der britischen Militärregierung besuchte die Universität, hatte Konferenzen mit dem Senat und sprach in Dozentenversammlung wie vor Vertretern der Studentenschaft über Hochschulreform.

20. Juni 1948

Heute begannen die diesjährigen Göttinger Händel-Festspiele, die von der Göttinger Händel-Gesellschaft gemeinsam mit dem Theater der Stadt Göttingen veranstaltet werden. Sie dauerten bis zum 4. Juli und brachten die deutschen Erstaufführungen der Oper "Il pastor fido" und des Tanzspieles "Terpsichore" von Händel. Ferner sein Oratorium "Das Alexanderfest", die Oper "Dido und Aeneas" von Purcell sowie ein Kammerkonzert mit Werken von Händel und Gluck, bei dem Professor Dr. Gerber-Göttingen einem Vortrag "Händel und Gluck" hielt.

Zum ersten Mal hat das Ensemble des Theaters der Stadt Göttingen die Durchführung der Festspiele übernommen, ein Beweis für die derzeitige künstlerische Reife des Instituts.

Die seit Monaten von den alliierten Besatzungsmächten angekündigte Währungsreform hat heute in der amerikanischen, britischen und französischen Zone eingesetzt. Die russische Zone hat sich nicht angeschlossen, sodaß jetzt in Deutschland zwei verschiedene Währungen bestehen werden. Zunächst ist in den drei Westzonen mit Wirkung vom morgigen Tag das gesamte deutsche Münz- und Papiergeld für ungültig erklärt worden und statt der bisherigen "Reichsmark" die "Deutsche Mark" eingeführt, in 100 Deutsche Pfennige eingeteilt. Vorübergehend wurden die Werte bis zu einer Mark noch für ein Zehntel ihres Betrages zur Behebung des Kleingeldmangels noch angenommen, desgleichen die Briefmarken. Alle übrigen Zahlungsmittel verlieren von morgen ab ihre Gültigkeit. Um die Bevölkerung mit dem Notwendigsten zu versorgen, wurde heute bisheriges Geld gegen das neue umgetauscht. Jeder in einem Ort zum Empfang von Lebensmittelkarten berechtigte Einwohner hatte 60 bisherige Reichsmark abzuliefern und erhielt dafür 40 Deutsche Mark. Die restlichen 20 Mark sollen im Laufe der folgenden Monate ausgegeben werden.

In Göttingen waren zu diesem wie gesamte Bevölkerung betreffenden großen Umwechslungsgeschäft drei Stellen für die Umwechslung angerichtet: In der Oberschule für Jungen (Böttinger-Straße), der Mittelschule für Jungen (Bürgerstraße) und der Luther-Schule in der Jüdenstraße. Sämtliche Bank- und Sparkassen-Guthaben sowie das vorhandene Bargeld mußte bei den Geldinstituten angemeldet, beziehungsweise abgeliefert werden.

Im Gegensatz zu anderen deutschen Universitäten z.B. Tübingen, setzte die Universität Göttingen nach der Währungsreform den Vorlesungsbetrieb des Sommersemester unverändert fort. Die Währungsreform hat weite Kreise der Studentenschaft schwer getroffen. Die seit Monaten unternommenen Versuche, für die zahlreichen, durch die Um- und Abwertung des Geldes plötzlich betroffenen Studenten staatliche Hilfsquellen zu erschließen, sind fehlgeschlagen. Immerhin werden auf Grund von Verhandlungen mit staatlichen Stellen solchen wirklich bedürftigen Studierenden, die innerhalb von höchstens 12 Monaten ihr Abschlußexamen ablegen werden, langfristige Darlehen bis zum Gesamtbetrag von höchstens 1200 Deutsche Mark gegeben werden können, rückzahlbar in zweimal fünf Jahren. Der Allgemeine Studenten-Ausschuß hat in Anbetracht der Lage die in Frage kommenden Studierenden aufgerufen, sich selbst nach Verdienstmöglichkeiten umzusehen. In einer Stadt von Göttingens Größe und Struktur wegen ist es aber völlig unmöglich, für die nach vielen Hunderten, vielleicht Tausenden zählenden durch die Währungsreform mittellos gewordenen Studenten ausreichenden Gelderwerb zu schaffen. Es herrscht daher bei vielen bittere Not, viele haben Göttingen verlassen, viele können ihre Zimmermieten nicht mehr bezahlen und sind nicht mehr in der Lage, ihre Lebensmittel zu kaufen. Auf öffentlichen Anschlägen in der Mensa bieten daher Studenten Brot, das Pfund zu 60 Pfennigen neue Währungen an - ein besonderes Beispiel für die derzeitigen Verhältnisse!

Auch in der einheimischen Bevölkerung sind viele durch die Währungsreform in ernste wirtschaftliche Bedrängnis gekommen. Kennzeichnend für die ersten Tage nach Beginn der Geldreform war, daß plötzlich die meisten bisher von den Kaufleuten zurückgehaltenen und damit knapp gewordenen Waren wieder auftauchten und verkauft wurden, wodurch ein völlig neues Bild im Wirtschaftsleben sich ergab. In den Schaufenstern erschienen unvermutet Gegenstände und Waren aller Art, die jahrelang nicht mehr zu kaufen gewesen waren und nun bei den neuen Geldverhältnissen für den größten Teil der Bevölkerung unerschwinglich sein mußten. Es war daher in weiten Kreisen der Bürgerschaft eine erhebliche Verbitterung zu spüren. Die Währungsreform sollte auch den sogenannten "Schwarzen Markt" unterbinden, eine der schlimmsten Nachkriegserscheinungen. Wie in allen Städten Deutschlands, so hatten auch in Göttingen meist ortsfremde, dunkle Elemente, größtenteils Polen und Leute aus der Ostzone, Schieber und Wucherer einen illegalen Handel mit rationierten oder rechtmäßig gar nicht käuflicher Waren aller Art aufgemacht. Diese stammten nicht selten aus Diebstählen, namentlich Eisenbahnberaubungen und Grenzschmuggel. In Göttingen war die Umgebung des Bahnhofs, später des Marktplatzes die Zentrale dieses trotz ständig wiederholter Polizei-Razzien nicht zu beseitigenden Übels, dem zumal auch viele Jugendliche verfallen waren. Während vor der Währungsreform der Schwarzmarkt die offiziellen Handelspreise ungeheuer überteuerte, müssen nach dem 20. Juni die Schwarzhändler diese unterbieten und entziehen so dem ehrlichen Kaufmann vielfach die Kunden.

Die Verkehrsmittel, wie Eisenbahnen und Autobusse, hatten starke Rückgänge zu verzeichnen, das Geld ist knapp geworden. Durch die völlige Abwertung der öffentlichen Gelder bei der Währungsreform wurden die städtischen Kassen so in Mitleidenschaft gezogen, daß die Einnahmen aus dem städtischen Omnibusverkehr täglich an die Stadtkämmerei abgeführt werden müssen, damit diese am nächsten Tag wenigstens über etwas Bargeld verfügen können.

25. Juni 1948

Die evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden veranstalteten vom 25. bis 27. Juni erstmalig einen Göttinger Kirchentag mit Festgottesdiensten, Vorträgen und Versammlungen wie einem Festkonzert der Stadtkantorei. Landesbischof Dr. D. Lilje hielt am 27. Juni im Festgottesdienst der überfüllten Johanniskirche die Predigt und sprach bei verschiedenen Veranstaltungen.

Aus Anlaß der durch die Währungsreform hervorgetreten vielfachen wirtschaftlichen Not haben die evangelisch-lutherischen Pfarrer Göttingens einen Aufruf an die Gemeindemitglieder erlassen, Bedürftigen die Miete zu ermäßigen, zu stunden, gegebenenfalls zu erlassen, Hilfsbedürftige zum Mittagessen einzuladen oder einen, an die Pfarrämter zu entrichtenden Betrag für einen Freitisch zur Verfügung zu stellen.

30. Juni 1948

Lord Lindsay Master of Balliol College in Oxford und Mitglied des Studienausschusses für die Hochschulreform, der sich seit zwei Tagen zu Konferenzen mit der Universität in Göttingen aufhält, sprach in der Aula über "Toleranz und Demokratie".


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